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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Margot nach Hause.
    »Du bleibst die Nacht über bei uns«, entschied Ed sofort, nachdem er Queenies Stimme gehört hatte. »Nun iß erst mit uns.«
    Es gab eine einfache Mahlzeit in der Küche. Die Möbel waren weiß lackiert; wenn Margot Wasser brauchte, so hatte sie nur den Hahn aufzudrehen, während Familien, die draußen in der Prärie wohnten, noch immer meilenweite Wege zur nächsten Wasserstelle machen mußten. Queenie half Margot nach dem Essen abwaschen und den Jungen in sein weißbezogenes Bettchen bringen. Dann saß sie wieder in der Küche mit Ed allein.
    Der Blinde sprach immer überlegt, so, daß jedes Wort seinen Platz hatte und die Worte einander nicht stießen und nicht überrumpelten.
    »Queenie – bist du deines Mannes wegen zu mir gekommen?«
    »Ja.«
    »Dein Mann hat unrecht. Warum will er nicht, daß die Pest in unserem Land ausgerottet wird?«
    Queenie schaute an dem Blinden vorbei durch das Fenster nach der Sonne, die an diesem langen Sommerabend noch immer hell schien. Sie dachte daran, daß Ed diese Sonne nie mehr würde sehen können. Er sprach weiter.
    »Es geht um nichts als um eine ehrliche Zeugenaussage vor der Polizei in einer Untersuchung gegen Unbekannt. Wenn dein Mann ein gutes Gewissen hat, kann er sprechen. Wenn er ein schlechtes hat, soll er gestehen und den Rest verbüßen und als ein rechtschaffener Mensch wieder anfangen. Das ist er dir und uns allen schuldig. Und erst recht seinem Kind, auf das ihr wartet. Vielleicht hat er Angst, aber die Angst soll er ablegen. Eine solche Angst ist unwürdig.«
    Queenie dachte nach. Ed wartete. Er wollte ihr die Antwort nicht ersparen.
    Endlich fand Queenie, was sie zu sagen hatte. »Deine Worte sind so weit weg, Ed. Du rufst, aber ich stehe längst an einem anderen Ufer. Was du sagst, kann ich wohl hören, aber ich kann es nicht begreifen. Ich habe viele Fragen, aber wie soll ich sie aussprechen? Deine Ohren haben sich verschlossen, und du redest wie ein Weißer. Du wohnst, wo sie dir Wasser geben; da gelten andere Gesetze.«
    »Queenie, ich betrüge dich nicht. Ich sage dir, was ist. Wir wollen deinem Mann nicht helfen – auch dann nicht, wenn er hart angefaßt wird –, solange er mit seiner Aussageverweigerung den Gangstern hilft. Wir wollen den Namen unseres Stammes rein und unsere Hände sauber halten.«
    »Ihr habt so reine Hände, ja. Oh, was habt ihr reine Hände! Damit habt ihr Stonehorns Mutter verjagt, nachdem sie ihr Kind gegen den betrunkenen Großvater mit dem Beil verteidigt hatte. Weißt du, Ed, was das heißt, ein betrunkener Mann auf einer einsamen Ranch? Unter eurem guten Namen und mit eurem reinen Mund habt ihr auch ein Lügenurteil über Joe gesprochen, als er sechzehn Jahre war, und habt ihn damit vertrieben. Wer von euch stand am Gefängnistor, als er mit achtzehn entlassen wurde? Niemand. Er blieb allein. Und wer von euch hat mit seinen reinen Händen Stonehorn geholfen, als er sich jetzt von den Gangstern losgesagt hat und dabei sein Leben wagte? Es bleibt mir so fern, was du sprichst, Ed, wie eine fremde Luft ist es, und – verzeih mir, aber auch ich will dich nicht belügen – ich denke an die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Du sagst, Joe soll büßen! Wofür? Dafür, daß er, von einem weißen Lehrer als Dieb verleumdet und von euch hinausgestoßen, mit weißen Männern zusammen Verbrechen begangen hat? Soll er das bei den weißen Männern in ihren Gefängnissen wiedergutmachen? Könnt ihr das an ihm bei den Weißen und in ihren Gefängnissen wiedergutmachen? Ich glaube, Chief Ed Crazy Eagle, das alles wird nur gutgemacht, wenn Joe hier bei uns arbeiten will und arbeiten darf – ehrlich – und wenn ihr mit ihm zusammenarbeitet – auch ehrlich.«
    Der Blinde lauschte auf den Ton von Queenies Worten und dachte über ihren Sinn nach. Mit welcher kindlichen Sicherheit sprach Queenie davon, daß ihr Mann das Opfer eines Fehlurteils geworden sei! Aber Ed glaubte nicht, daß der alte Präsident des Stammesgerichts sich vor sieben Jahren ganz und gar geirrt haben könnte. Er blieb still, er horchte in sich selbst hinein. Zerrissen und zerfetzt war alles, und Indianer stand gegen Indianer. Wie konnte man wieder zueinander finden?
    Die Sonne sank langsam. Die beiden blieben in der Küche, bis die Dämmerung in Dunkelheit überging. Der Blinde erhob sich, um zu seiner Lagerstatt hinüberzugehen. Margot holte Queenie; die beiden Frauen schliefen zusammen. Queenie war es, als ob das Bewußtsein sie

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