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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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diese Niederlage ausgewetzt war –, dann sah die Welt wieder anders aus. Joe würde nicht wiederkommen. Dazu hatte Harold noch das seinige beigetragen.
     

Neues Kapitel
     
    Für Queenie lief die Zeit von nun an wie eine lange Kette dahin, an der fremde Hände rückten, deren Glieder sie aber zählen konnte. Die Hitze nahm noch zu, der Himmel blieb blau. Das Vieh dürstete, und das Gras hatte keine Kraft mehr. Früher waren die Büffelherden in solchen Zeiten nordwärts gezogen und westwärts, zu den grünen Fluren und zu den Wäldern. Aber nun waren Mensch und Vieh festgebannt, und das köstliche Grundwasser spielte dreihundert Fuß unter der Erde unerschöpflich nur mit sich selbst. Brunnen waren teuer, zu teuer für Indianerland.
    Queenie fuhr jetzt schon weite Strecken mit dem Wagen, um Wasser zu holen, denn der Brunnen bei Booth, der keiner der besten war, wollte nicht mehr ausreichen. Jeden Donnerstag, wenn sie zu der Töpferei in der Agentursiedlung ritt und bei den Arbeiten half, brachte sie gefüllte Wassersäcke nach Hause mit. Jeden Donnerstag ging sie auch auf die Post und zur Sekretärin des Superintendent und fragte, ob ein Brief für sie da sei.
    Eines Morgens endlich schlug die diensteifrige Miss Thomson die Eingangsmappe auf und reichte Queenie einen Brief. Auf dem Umschlag stand weiter nichts als ›Queenie King‹; der Brief mußte also in anderer Post verschlossen mitgekommen sein. Queenie kannte die Schrift nicht, aber es war möglich, daß der Linkshänder Stonehorn so schrieb.
    Sie dankte und nahm den Brief ungeöffnet mit. Sie wollte damit allein sein. Als sie aus der Siedlung hinausgeritten war, suchte sie sich herrenlose Prärie, galoppierte quer hindurch und setzte sich in den Schatten einer verkrüppelten Kiefer. Dort öffnete sie den Umschlag mit ihrem Messer, nahm das weiße Blatt heraus und las: »28. August, Agentur. Joe.«
    Bis dahin waren es noch sieben Tage.
    Queenie steckte den Brief in die Brusttasche, knöpfte zu, sprang auf und trieb das Pferd mit einem hellen Zuruf wieder an.
    Daheim las sie der Großmutter die vier Worte vor, langsam, wie der Pfarrer in der Kirche die Heilige Schrift. Die Großmutter saß lange unbeweglich.
    Dann begann sie zu arbeiten.
     
    Am Abend des 27. August putzte Queenie den Wagen und bedauerte, daß sie ihn nicht mit dem Schlauch abspritzen konnte, doch wurde er sauber und glänzend, wenn auch mit mehr Mühe, als der des Superintendent. Sie schüttelte noch einmal alle Decken aus, legte Joes frisch gewaschene Arbeitskleidung zurecht und überprüfte den Wasservorrat, den die Großmutter und sie von verschiedenen Stellen herbeigeschleppt hatten. Sie putzte die Jagdgewehre, bis die Läufe matt blinkten. Sie ging zu den Pferden und erzählte ihnen mit der sanften Stimme, die die Tiere liebten, daß ihr Herr morgen zurückkommen werde. Die Hunde waren nicht da. Da sie sich selbst, ihr Wasser suchen mußten, kamen sie in diesen Wochen nur selten zum Haus.
    Als die Sonne rot wurde wie eine Kakteenblüte und die Felsen gegenüber in gebrochenem Weiß leuchteten, hatten Queenie und die Großmutter alle Arbeit getan, die sich in und an dem kleinen Hause tun ließ. Queenie ging den Pfad zum Friedhof hinüber und erzählte dem alten King, über dessen Grab die gelben Halme im Winde schaukelten, daß sein Sohn morgen in die Heimat zurückkehren werde.
    In der Nacht legte sich Queenie zu der Großmutter hinüber und erinnerte sich, wie oft sie als Kind zur Großmutter unter die Decke geschlüpft war. Sie wollte heute wieder einen freundlichen Menschen fühlen, der mit ihr hoffte und mit ihr bangte. Queenies Nerven glichen den Saiten, die von einer Hand vorsichtig auf die Spannung gedreht werden, in der sie den besten Ton geben, und manchmal war es, als ob diese Saiten schon von selbst zu singen beginnen wollten. Am Morgen war Queenie vor der Sonne auf und atmete draußen auf den Wiesen den letzten Hauch, der lindernd über das Land wehte, ehe es wieder schutzlos unter der Hitze liegen mußte. Sie trug das türkisfarbene Kleid, das sie am Tag des Rodeo getragen hatte, aber ohne jeglichen Schmuck. Ihr Gesicht war schmaler geworden, ihre Augen wirkten größer, weil Schatten darunter lagen.
    Die Großmutter saß auf der Wiese und schien auf nichts zu achten als auf die roten, weißen, gelben und blauen Fäden aus Stachelschweinborsten, die sie vorsichtig um die Lederstreifen eines Stirnbandes zog.
    Drüben auf der Ranch der Familie Booth regte es sich auch schon.

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