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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Geburt eine Halbindianerin, Tochter Mary und zuletzt Sohn Harold, der am Steuer gesessen hatte, den Startschlüssel abzog und den Wagen verschloß.
    Ob Harold Angst hatte, daß sie den Wagen benutzen würde, um der unerwünschten Gesellschaft zu entfliehen? Aber zu diesem Zweck wäre das Stonehornsche Sportcabriolet geeigneter gewesen.
    Die Familie schritt in traditioneller Schlachtordnung herbei. Isaac Booth ging voraus, und Queenie gab ihm die Tür frei. Als alle in den Innenraum des Blockhauses getreten waren, blieb nichts anderes übrig, als sich auf die Bettgestelle zu setzen. Mutter Booth fand sie offenbar hart und mochte die Frage auf den Lippen haben, warum es in diesem Haus nicht wenigstens die auch in den meisten armen Indianerfamilien üblichen alten Couches gebe. Aber Isaac, dem Haupt der Familie, gebührte das erste Wort.
    »Wir haben gesehen, Queenie«, sagte er, »daß du imstande und willens bist, eure kleine Ranch in Ordnung zu halten. Die Großmutter ist eine tüchtige und saubere Frau, achtbar wie dein ganzes Elternhaus. Euer Haus hier ließe sich hübsch ausbauen. Übers Jahr, wenn du das Baccalaureat hast und von der Schule endgültig nach Haus kommst, könnte die Hütte hier ausgebaut sein.«
    Harold nickte bestätigend.
    Queenie war nicht bereit; Gesprächsbrücken zu bauen. Sie wartete wortlos.
    »Wir haben nun schon gut zusammengearbeitet, deine Großmutter und ich«, erzählte Isaac weiter. »Sie kann eure Pferde bei uns tränken und Wasser holen, solange das Wasser noch für zwei Familien reicht. Sie hat mir ein Pferd kuriert, das ich schon aufgeben wollte. Sie versteht etwas. Ja, ich würde dir raten, sie hierzubehalten.«
    Worauf er nur hinauswill? fragte sich Queenie. Er spricht, als ob ihm unsere Ranch gehöre und ich seine Tochter sei.
    »Wir sind zu dir gekommen, Queenie. Ich hätte auch mit deinem Vater sprechen können. Aber ich gehe lieber gleich zu meinem Nachbarn.«
    »Es kostet auch weniger Benzin«, bemerkte Queenie.
    Isaac kam mit dieser Bemerkung nicht ganz zurecht.
    Da der Sprecher schwieg, blieb die ganze Familie Booth einige Zeit stumm. Dann sah Mutter Booth den Augenblick kommen, in dem sie eingreifen konnte: »Queenie, übers Jahr wird das Haus hier schön werden.«
    »Ihr redet alle, als ob Stonehorn schon tot sei«, sagte Mary Booth, trocken wie die Prärie im August. »Aber bedenkt, was für ein junger und zäher Bursche er ist.«
    Harolds Ohren zuckten hin und her; es war dies eine merkwürdige körperliche Reaktion von ihm, wenn seine Erregung auf das höchste gestiegen war. Mutter Booth schaute auf Isaac und schämte sich.
    »Ich habe ja nichts gesagt, und es sei mir ganz fern, so etwas zu sagen, daß Joe King selbst uns nicht auch ein guter Nachbar werden könne«, wies Isaac Mary zurecht. »Tatsächlich, die Pferde, die er gekauft hat, sind fehlerfrei und vom besten Schlag, und er ist ein ausgezeichneter Cowboy.« Isaac sprach das Lob ohne Zögern aus; es klang wie eine Leichenrede, zugleich wie eine Mahnrede an seinen eigenen Sohn. »Wir haben allerdings durch Harold erfahren, daß Joe lange fortbleiben wird, und wir sind gekommen, Queenie, um dir zu sagen, daß du nie allein und verlassen sein wirst.«
    »Ja«, fügte Harold hinzu, und seine Blicke, die um Queenies Gestalt strichen, verrieten das oft erregte, oft abgewiesene Begehren, das von neuer Hoffnung gestachelt war. »Wir sind miteinander in die Schule gegangen, Queenie! Du warst das schönste unserer Mädchen, und ich war ein großer Bursche und habe dich immer zu beschützen und dir zu helfen versucht. So soll es auch künftig sein. Du kannst auch auf mich zählen.«
    Da die junge Frau noch immer nichts sagte und Isaac das als Zustimmung zu allem auslegte, was gesprochen worden war, erhob er sich, worauf die ganze Familie aufstand wie ein Mann. In traditioneller Ordnung kehrten die vier zum Wagen zurück, Isaac, Harold, Mutter Booth… nein, Mary noch nicht. Sie hatte sich ein wenig zurückgehalten und flüsterte Queenie noch im Hause zu: »Harold ist ein Kojot. Joe geht es schlecht.« Dann beeilte sie sich, bei dem Vater nicht als eigenwillig aufzufallen, und nahm rechtzeitig den Sitz neben der Mutter ein.
    Harold wendete und fuhr langsam wieder abwärts. Alles in allem war er zufrieden. Übers Jahr… wenn er das Haus ausbauen… der väterlichen Oberaufsicht ferner rücken… und die gut verdienende hübsche junge Frau haben würde, die Joe sich in einer rätselvollen Nacht geholt hatte – wenn

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