Nacht über Eden
wiederholte er und verließ mit Tante Fanny das Zimmer.
Ehe ich in Tränen ausbrechen konnte, erschienen die Krankenträger. Einen Augenblick später wurde ich aus dem Zimmer gebracht und den Korridor entlang gerollt. Und an meiner Seite war niemand, der meine Hand hielt, niemand, den ich liebte und der mich liebte. Alle Gesichter, die mich umgaben, waren leer und fremd, es waren die Gesichter von Menschen, für die ich nichts als ein Teil ihrer täglichen Arbeit war. Mit geübtem Griff zog Mrs. Broadfield die Decke über meine Schultern, als wir den Ausgang zum Parkplatz erreichten. Der Krankenwagen erwartete uns schon.
Obwohl der Himmel grau und bedeckt war, schloß ich meine Augen in dem Augenblick, als das Tageslicht auf mein Gesicht fiel. Die Träger hoben mich in den Krankenwagen. Als die Türen geschlossen waren und Mrs. Broadfield sich neben mich setze, öffnete ich die Augen wieder. Sie richtete meine Infusionsflasche und lehnte sich zurück. Ich spürte, wie der Krankenwagen anfuhr und die Auffahrt des Krankenhauses hinabrollte, um mich zum Flughafen zu bringen, wo das Flugzeug wartete, das mich in das Bostoner Krankenhaus fliegen würde.
Auf einmal fragte ich mich, ob ich Winnerrow je wiedersehen würde. Ich wollte einen letzten Blick auf die kleine Stadt werfen, um die Erinnerung in meinem Herzen zu bewahren, und den sauberen kleinen Gehöften mit ihren sommerlich bestellten Feldern ein letztes Adieu zurufen. Aber vor allem wollte ich von den Willies Abschied nehmen, wollte die Berge mit den Bergarbeiterkaten und den Hütten der Schwarzbrenner noch einmal sehen.
Ich wurde plötzlich aus meiner Welt gerissen, wurde von den Menschen und den Orten, an denen mein Herz hing, getrennt.
Überwältigt von Trauer schloß ich die Augen und versuchte mir vorzustellen, was wohl in diesem Augenblick in Hasbrouck House geschah. Sicherlich würden alle Hausangestellten noch wie betäubt sein, unfähig zu begreifen, was geschehen war.
In meinem Kopf begann es zu hämmern, und Tränen schossen aus meinen Augen. Ich wurde von einem heftigen Schluchzen geschüttelt.
Ich würde sie also nie wiedersehen? Nie wieder hören, wie mein Vater, wenn er nach Hause kam, rief: »Wo ist meine Tochter? Wo ist meine kleine Annie?« Als ich klein war, versteckte ich mich immer hinter der hohen Lehne des mit blauem Chintz bezogenen Sessels und preßte meinen kleinen Zeigefinger gegen die Lippen, um ein Kichern zu unterdrücken, während er so tat, als würde er überall nach mir suchen. Dann wurde sein Gesicht traurig, und mir brach fast das Herz bei dem Gedanken, ihm Kummer zu bereiten.
»Hier bin ich, Daddy«, zwitscherte ich, und er nahm mich auf den Arm und küßte mich. Dann trug er mich in das Arbeitszimmer, wo Mammi und Drake saßen und über die Schule sprachen. Wir ließen uns auf der Ledercouch nieder; und dann krabbelte ich auf Daddys Schoß. So saßen wir eine Weile und hörten ihnen zu, bis Mammi sagte, daß es nun Zeit für uns wäre, uns zu waschen und zum Abendessen umzuziehen.
Diese Tage waren von Sonnenschein und Lachen erfüllt gewesen; doch jetzt hatten sich dunkle Wolken über mir zusammengebraut, und eisige, finstere Schatten legten sich über mich wie ein Leichentuch.
»Versuchen Sie zu schlafen, Annie«, sagte Mrs. Broadfield und riß mich aus meinen Träumen. »Wenn sie daliegen und weinen, werden Sie nur schwächer und schwächer. Sie haben noch viele schwere Kämpfe vor sich, glauben Sie mir das.«
»Haben Sie schon früher Patienten wie mich betreut?« fragte ich, denn mir wurde klar, daß ich Freundschaft mit dieser Frau schließen mußte. Oh, wie sehr ich jetzt Freunde brauchte, Menschen mit denen ich sprechen konnte, Menschen, die älter und weiser waren als ich, die mir sagen konnten, was ich jetzt tun sollte! Ich brauchte jemanden, der Lebenserfahrung besaß, aber auch warmherzig und voller Zuneigung mir gegenüber war.
»Ja, ich habe schon viele Unfallopfer betreut«, sagte sie, und in ihrer Stimme lag ein überheblicher Ton.
»Sind sie alle wieder gesund geworden?« fragte ich.
»Natürlich nicht«, antwortete sie brüsk.
»Werde ich gesund werden?«
»Ihre Ärzte haben große Hoffnung.«
»Aber was glauben Sie?« Ich fragte mich, wie jemand, dessen Aufgabe es doch offensichtlich war, anderen zu helfen, so kalt und unpersönlich sein konnte. Wußte sie denn nicht, wie wichtig eine warmherzige und liebevolle Pflege war?
Warum war sie so unnahbar? Tony hatte sicherlich genaue Erkundigungen
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