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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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zurechtgestutzt, die Blumenbeete von Unkraut überwuchert.
    In seiner Größe war das Haus wirklich so überwältigend, wie Luke und ich es uns in unseren Träumen vorgestellt hatten, aber es erweckte den Eindruck, als wäre es seit vielen Jahren unbewohnt. Wo immer es eine hölzerne Seitenwandung oder Zierleiste gab, war das Holz verwittert und abgesplittert. Das Haus wirkte grau und kalt. Die Fenster waren dunkel und die Vorhänge geschlossen wie die Augenlider einer sterbenden alten Frau.
    Als die Sonne hinter den schweren Wolken verschwand, wirkte die Vorderfassade des großen Hauses richtig unheimlich. Plötzlich überkam mich ein Frösteln. Mir wurde bange, und ich fühlte mich sehr einsam.
    Tony hingegen lächelte breit, und sein Gesicht strahlte vor Begeisterung. Man hatte in keiner Weise das Gefühl, daß der traurige Zustand des Parks und der Verfall des Hauses ihm peinlich wären. Er schien es gar nicht wahrzunehmen. Ich sah Mrs. Broadfield an, um herauszufinden, ob sie genauso erstaunt war wie ich, aber sie saß mit unzugänglichem, versteinertem Gesicht da.
    »Farthy erstreckt sich über viele, viele Morgen Land«, erklärte Tony stolz. »Der Boden gehört zu dem fruchtbarsten hier in der Gegend, und wir haben unseren eigenen Privatstrand. Wenn du soweit bist, dann werde ich dich hier herumfahren und dir unsere Stallungen zeigen, den Swimmingpool und die Strandkörbe, die Tennisplätze, das Aussichtszimmer… einfach alles«, versprach er. »Und du sollst immer daran denken, daß alles dir gehört. Du darfst dich hier nicht als Gast fühlen; du bist mehr als ein Gast, viel mehr«, meinte er. Miles brachte das Auto zum Stehen.
    Mrs. Broadfield stieg rasch aus, ging nach hinten und wartete dort darauf, daß Miles ihr half, den Rollstuhl aus dem Kofferraum zu holen. Ich blickte die Treppen hinauf zu dem großen Torbogen. Selbst er hatte einiges von seiner Pracht eingebüßt. Das Holz war an der rechten Seite abgesplittert, als hätte ein riesiges Tier daran seine Krallen gewetzt, um sich Zutritt zum Haus zu verschaffen. Wie konnte Tony hier nur täglich aus- und eingehen, ohne es reparieren zu lassen?
    »Du bist also endlich hier!« rief Tony. »Du bist wirklich und endlich hier! Nun, wie gefällt es dir?«
    »Ich…« Verzweifelt suchte ich nach Worten – ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich war enttäuscht, sehr, sehr enttäuscht, sehen zu müssen, daß die Villa meiner Träume baufällig war und zerbröckelte.
    »Oh, ich weiß, hier muß einiges getan werden«, sagte Tony hastig, »und ich werde mich auch sofort daranmachen, denn jetzt habe ich endlich einen Grund dafür.« Ernst und feierlich blickten mich seine Augen an. Mein Herz begann unruhig zu schlagen. Irgend etwas in mir, etwas, das ich nicht genau benennen konnte, erhob warnend seine Stimme.
    »Es ist ein wunderbares Haus, und wenn du erst alles tadellos in Ordnung gebracht hast, dann sieht es bestimmt wieder so aus wie damals, als du noch ein kleiner Junge warst, das möchte ich wetten«, sagte ich. Ich wollte nicht wahrhaben, wie beklommen mir ums Herz war.
    »Ja, du hast recht. Ich will, daß es wieder genauso aussieht.
    Oh, ich wußte, daß du mich verstehst, Annie. Ich bin ja so glücklich, daß du hier bist.«
    Mrs. Broadfield öffnete mir die Wagentür. Gemeinsam mit Miles hatte sie den Rollstuhl aufgeklappt und bereitgestellt.
    Nun wollte sie mir beim Aussteigen behilflich sein.
    »Oh, lassen Sie mich helfen«, beharrte Tony und kam schnell auf meine Seite des Autos gelaufen. Mrs. Broadfield trat einen Schritt zurück. Tony legte den rechten Arm um meine Taille und schob den linken unter meine Schenkel. Dann bewegte er sich langsam und vorsichtig rückwärts, hob mich hoch und trug mich aus dem Wagen, als wäre ich… als wäre ich ein Kind, dachte ich zunächst; aber an der Art, wie er mich festhielt und anlächelte, war etwas, was mich eher an eine Braut denken ließ, an eine junge Braut, die gleich über die Schwelle ihres neuen Hauses getragen werden sollte.
    »Mr. Tatterton?« fragte Miles, weil er, genau wie ich selbst, wissen wollte, wann Tony mich endlich in den Rollstuhl setzen würde.
    »Was? O ja, das ist eine gute Idee.«
    Behutsam setzte er mich in den Rollstuhl, und dann hoben Miles und er mich hoch und trugen mich mitsamt dem Stuhl die Stufen zum Haupteingang hinauf. Ein großer, schlanker, grauhaariger Mann mit dunkelgrauen Augen und fahler Haut, die auf der Stirn und am Hals kleine Fältchen bildete, stand wie

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