Nacht über Eden
eine Schaufensterpuppe im Eingang.
»Das ist Curtis, mein treu ergebener Butler«, erklärte Tony.
»Herzlich willkommen«, begrüßte mich Curtis, verbeugte sich leicht und trat zur Seite, damit ich in das große Haus geschoben werden konnte.
Sie brachten mich in die Vorhalle, die mit schadhaften chinesischen Teppichen ausgelegt war. Es gab Stellen, die tatsächlich so abgetreten waren, daß die Holzdielen durchschimmerten. Ein einsamer Kronleuchter warf sein schwaches Licht über die Steinwände. Er hätte ein halbes Dutzend Glühbirnen gebraucht, aber nur eine einzige brannte.
Bildnisse der Vorfahren schmückten die Wände, gelbliche Gesichter strenger Männer und Frauen aus Neu-England. Die Mienen der Frauen waren verkniffen, als ob das Lächeln herausgebügelt worden wäre; die Männer bemühten sich sehr, einen ernsten, seriösen Eindruck zu machen, so unerschütterlich wie der Fels, auf den sie ihr hochherrschaftliches Haus gebaut hatten.
»Später werde ich dir alles genau zeigen«, versprach Tony,
»aber nun wollen wir es dir erst einmal in deinen eigenen Räumen bequem machen. Ich bin sicher, daß du nach einer so kurzen Reise müde sein wirst – nach allem, was du durchgemacht hast.«
»Ich bin viel zu aufgeregt, um müde zu sein, Tony. Mach dir um mich keine Sorgen.«
»Aber genau das ist es, was ich von jetzt an tun möchte: mir Sorgen um dich machen. Von nun an hast du für mich Vorrang vor allem anderen.«
Er schob mich weiter.
»Mein Büro ist gleich hier; ich lasse dich nur ganz kurz hineinschauen, weil es nicht für weibliche Blicke geeignet ist.
Es müßte mal gründlich geputzt werden«, gab er zu. Er kniete nieder, so daß seine Lippen mein Ohrläppchen berührten.
Obwohl wir das Zimmer gar nicht betraten, konnte ich sehen, daß er nicht übertrieben hatte. In der Ecke hing eine einzige Lampe und warf anämische weiße Lichtstrahlen über den großen Mahagonitisch und die schwarzen Ledersessel. Die Bücher in dem dunklen Regal aus Kiefernholz sahen ganz verstaubt aus. Sonnenstrahlen drangen durch die Vorhänge an den Fenstern und beleuchteten die Stäubchen, die in der Luft tanzten, wie Scheinwerfer. Wann wohl jemand zum letzten Mal mit einem Staubwedel oder einem Staubsauger in dieses Zimmer gekommen war, fragte ich mich. Tonys Schreibtisch war mit Papieren überhäuft. Wie konnte er hier jemals irgend etwas finden?
»Jetzt, da du hier bist, werde ich das natürlich alles in Ordnung bringen. Im Augenblick will ich dich lieber nicht in dieses ungepflegte Heiligtum schieben. Wir würden zu viel Staub aufwirbeln. Männer!« sagte er und kniete wieder neben mir nieder. »Wenn Männer alleine leben, dann neigen sie dazu, die ästhetischen Dinge zu vernachlässigen. Aber das ist jetzt zu Ende… Gott sei Dank, es ist zu Ende«, murmelte er und schob mich schließlich weiter.
Zumindest die Treppe enttäuschte mich nicht. Sie war genauso, wie wir sie uns in unseren Träumen vorgestellt hatten
– breite, elegante Marmorstufen mit einem schimmernden Geländer aus Mahagoni. Schon der Anblick rief in mir den Wunsch wach, wieder gesund zu werden, damit ich diese Stufen wie eine Prinzessin hinabschreiten konnte, so wie Luke und ich es uns ausgedacht hatten – in einem langen, fließenden Gewand, Handgelenke und Hals mit Juwelen bedeckt und Edelsteine in den Haaren. Oh, wie sehr ich mir wünschte, Luke wäre jetzt hier und wir könnten alles gemeinsam sehen und erleben!
»Ja, leider ist die Treppe im Augenblick ein Hindernis für dich, aber hoffentlich nicht mehr allzu lange.«
Wir gingen Richtung Treppenhaus, aber als ich nach rechts blickte, sah ich das weitläufige Wohnzimmer und den großen Flügel. Die Wände und die Decke waren über und über mit Malereien verziert!
»Oh, warte doch bitte. Was für ein wunderschöner Salon!
Was sind das für Gemälde?«
Er lachte und schob mich zur Tür. Es war ein sehr großer Raum mit altmodischen Vorhängen aus Satin, die früher einmal weiß gewesen sein mußten, aber jetzt grau vom Staub und vom Alter waren. Manche der Möbelstücke – die Samtcouch, das Zweisitzersofa und der tiefe Polstersessel –
waren mit Plastikhüllen bedeckt, und auch darauf konnte man den Staub sehen. Die Marmortische, der Flügel, die Vasen –
alles wirkte üppig und elegant, aber heruntergekommen und ungepflegt.
Die verblaßten Gemälde an den Wänden und an der Decke waren von erlesener Qualität. Sie stellten märchenhafte Szenen dar: schattige Wälder,
Weitere Kostenlose Bücher