Nacht über Eden
Seide und elfenbeinfarbener Spitze, eine blaue Satinchaise, Kronleuchter aus Kristall, ein langer Toilettentisch mit einem riesigen Wandspiegel sowie drei Stühle, die im gleichen Stil gehalten waren wie das Sofa und die Zweierbank im Wohnzimmer.
Es schien, als wäre der Raum noch genau im selben Zustand wie an dem Tag, als meine Mutter fortging. Fotos in Silberrahmen zierten den langen Frisiertisch, manche waren aufgestellt, andere umgedreht. Sogar eine Haarbürste lag da.
Ein Paar weinrote Samtpantöffelchen stand unter dem Stuhl beim Tisch. Sie paßten genau zu dem Morgenmantel, den Tony mir ins Krankenhaus gebracht hatte. Er war also gar nicht neu gewesen, wie ich gedacht hatte? Hatte er sie aus einem der Schränke hier geholt?
Ich bemerkte einen etwas abgestandenen Geruch, als wären Türen und Fenster jahrelang nicht geöffnet worden. Damit das Zimmer etwas freundlicher wirkte, waren überall frische Blumen hingestellt worden.
Die Schränke waren voll mit Kleidern. Manche waren mit Plastiküberzügen umhüllt, andere sahen aus, als wären sie gerade erst aufgehängt worden. Außerdem entdeckte ich viele, viele Schuhe. Tony bemerkte, daß mein Blick an den Kleidungsstücken hängengeblieben war.
»Einige dieser Kleider gehörten deiner Mutter, andere deiner Großmutter. Sie hatten fast die gleiche Größe. Ungewöhnlich, nicht? Dir wird auch alles passen. Du mußt dir nichts Neues kommen lassen. Hier wartet eine riesige Garderobe auf dich.«
»Aber Tony, viele dieser Kleider sind doch sicher längst aus der Mode.«
»Du wirst dich wundern. Ich habe bemerkt, daß viele der alten Moderichtungen wieder ganz aktuell sind. Es wäre doch schade, wenn das alles umsonst hier hinge!«
Mrs. Broadfield kam aus dem Badezimmer und schlug die Bettdecke zurück.
»Ich wollte dir eigentlich ein richtiges Krankenhausbett hier hereinstellen lassen«, erklärte Tony, »aber ich habe mir gedacht, das Bett hier ist doch viel bequemer und hübscher.
Wir haben zusätzliche Kissen bereitgelegt, ein Bettischchen und ein Kissen mit gepolsterten Armlehnen, wenn du sitzen und lesen möchtest.«
»Ich möchte nicht gleich ins Bett gehen!« sagte ich. »Schieb mich doch bitte ans Fenster, Tony, damit ich die Aussicht genießen kann.«
»Sie sollte sich ein bißchen ausruhen«, riet Mrs. Broadfield.
»Die Entlassung aus dem Krankenhaus und die lange Fahrt hierher waren sehr anstrengend für sie, auch wenn sie es gar nicht so wahrnimmt.«
»Nur ganz kurz, bitte«, bettelte ich.
»Ich will ihr wenigstens schnell die Aussicht zeigen.«
Mrs. Broadfield verschränkte die Arme unter ihrem schweren Busen, trat einen Schritt zurück und wartete. Tony schob mich ans Fenster und öffnete die Vorhänge, damit ich nach draußen in den Park schauen konnte. Wenn ich den Blick nach links wandte, konnte ich von hier oben mindestens die Hälfte des Irrgartens überblicken. Selbst im hellen Licht des späten Vormittags wirkten die Pfade und Wege düster, geheimnisvoll, gefährlich. Wenn ich nach rechts schaute, blickte ich über die Auffahrt und den Eingang von Farthinggale. In der Ferne konnte ich den Familienfriedhof erkennen; und ich erblickte ein großes Grabmal… Bestimmt war es das meiner Eltern.
Einen Augenblick lang brachte ich kein Wort über die Lippen. Schmerz und Trauer übermannten mich, und ich fühlte mich verloren, hilflos, gelähmt vor Kummer. Aber dann schob ich die Erinnerungen beiseite, atmete tief durch und beugte mich nach vorne, um das Grabmal genauer sehen zu können.
Tony merkte, was meine Aufmerksamkeit erregt hatte.
»In ein paar Tagen werde ich dich dorthin bringen«, flüsterte er.
»Ich hätte gleich hingehen sollen.«
»Wir müssen uns zuerst einmal darum kümmern, daß du wieder zu Kräften kommst. Das hat der Arzt befohlen«, erinnerte er mich. »Aber ich verspreche dir, daß ich sehr bald mit dir dorthin gehen werde.« Er tätschelte beruhigend meine Hand und richtete sich wieder auf.
»Ich glaube, ich bin wirklich müde«, gab ich zu und lehnte mich in meinem Rollstuhl zurück. Dann schloß ich die Augen und holte tief Luft. Zwei Tränen rollten wie warme Regentropfen über meine Wangen zu meinen Mundwinkeln.
Tony holte ein zusammengefaltetes Taschentuch hervor und trocknete vorsichtig meine Tränen. Mit den Lippen formte ich ein »Danke«. Er drehte meinen Stuhl um, schob mich zum Bett und half Mrs. Broadfield, mich hochzuheben.
»Ich werde ihr jetzt das Nachthemd anziehen, Mr. Tatterton.«
»Gut.
Weitere Kostenlose Bücher