Nacht über Juniper
Men- schen. Er bat Raven, auszuziehen. Raven starrte ihn verachtungsvoll an. »Schau, ich will nicht, daß er dich hier umbringt«, sagte Shed. »Schlecht fürs Geschäft?«
»Für meine Gesundheit vielleicht. Jetzt muß er dich umbringen. Wenn er es nicht tut, wer- den die Leute keine Angst mehr vor ihm haben.« »Er will es also nicht lernen, ja? Eine verdammte Narrenstadt.« Asa kam zur Tür hereingeschossen. »Shed, ich muß mit dir reden.« Er hatte Angst. »Krage glaubt, daß ich ihn an Raven verraten habe. Du mußt mich verstecken, Shed.« »Vergiß es.« Die Falle schloß sich. Jetzt waren alle beide hier. Krage würde ihn ganz sicher umbringen, er würde seine Mutter auf die Straße werfen. »Shed, ich habe dich den ganzen Winter lang mit Holz versorgt. Ich habe dir Krage vom Hals gehalten.«
»Na sicher. Damit er mich auch umbringt, ja?« »Du bist mir was schuldig, Shed. Ich hab’ niemandem nix gesagt, daß du nachts mit Raven rausgehst. Krage würde das vielleicht wissen wollen, oder?« Shed packte Asa an den Händen und riß ihn nach vorne gegen die Theke. Wie auf ein Stichwort tauchte Raven hinter dem kleinen Mann auf. Shed erhaschte einen Blick auf ein Messer. Raven drückte Asa die Klinge in den Rücken und flüsterte: »Gehen wir doch auf mein Zimmer.«
Asa wurde bleich. Shed zwang sich zu einem Lächeln. »Jawoll.« Er ließ Asa los und holte eine Tonflasche unter dem Tresen hervor. »Ich will mit dir reden, Asa.« Er nahm drei Becher herunter.
Shed ging als letzter hinauf und war sich dabei des blinden Starrens seiner Mutter bewußt. Wieviel hatte sie gehört? Wieviel hatte sie schon erraten? In letzter Zeit war ihr Verhalten kühl gewesen. Seine Schande hatte eine Mauer zwischen ihnen errichtet. Er hatte nicht mehr das Gefühl, daß er ihre Achtung verdiente. Er versetzte seinem Gewissen eine Ohrfeige. Ich hab’ es doch für sie getan!
Ravens Zimmer war als einziges im oberen Stockwerk mit einer Tür versehen. Raven hielt
sie für Asa und Shed auf. »Setz dich«, sagte er zu Asa und deutete auf sein Bett. Asa setzte sich. Er sah verängstigt genug aus, um sich in die Hosen zu machen. Ravens Zimmer war ebenso karg und unauffällig wie seine Kleidung. Auf Reichtum gab es keine Hinweise.
»Ich investiere mein Geld, Shed«, sagte Raven und grinste spöttisch. »In die Schiffahrt. Gieß uns Wein ein.« Er begann, sich die Fingernägel mit einem Messer zu säubern. Asa hatte seinen Wein heruntergekippt, bevor Shed noch den Rest eingießen konnte. »Schenk ihm nach«, sagte Raven. Er nippte an seinem Becher. »Shed, warum hast du mir diese saure Katzenpisse gegeben, wenn du doch den hier hast?« »Den kriegt keiner ohne Anfrage. Er ist teurer.« »Ab jetzt bekomme ich den hier.« Raven senkte seinen Blick in den von Asa und klopfte sich mit der flachen Messerklinge auf die Wange. Nein, Raven mußte nicht wie ein Bettler leben. Das Leichengeschäft war sicher einträglich. Er investierte sein Geld? In die Schiffahrt? Irgendwie sonderbar, wie er das gesagt hatte. Wo- hin das Geld ging, war vielleicht genauso interessant wie die Quelle, aus der es floß. »Du hast meinen Freund bedroht«, sagte Raven. »Oh. Entschuldige, Shed. Falsch formuliert. Ich meine Teilhaber, nicht Freund. Teilhaber müssen sich nicht mögen. Kleiner Mann. Du hast uns etwas zu sagen?«
Shed erschauerte. Verdammter Raven. Das hatte er nur gesagt, damit Asa es verbreitete. Dieser Schweinehund übernahm die Kontrolle über sein Leben. Nagte sich darin fest wie eine Maus, die sich über ein Käserad hermacht. »Ehrlich, Herr Raven, ich hab’s nicht böse gemeint. Ich hatte Angst. Krage denkt, daß ich euch was gesteckt habe. Ich mußte mich verstecken, und Shed hat Angst, mich aufzunehmen. Ich wollte ihn doch nur dazu bringen…«
»Halt den Mund, Shed. Ich dachte, er sei dein Freund.« »Ich habe ihm bloß ein paarmal einen Gefallen getan. Er hat mir leid getan.« »Vor dem Wetter hast du ihm Unterschlupf gewährt, aber nicht vor seinen Feinden. Du bist ein wahrer Ausbund an Feigheit, Shed. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Ich wollte dich zu einem Vollpartner machen. Dir irgendwann das ganze Geschäft übergeben. Dachte, daß ich dir damit einen Gefallen tun würde. Aber du bist ein feiger Widerling. Du hast nicht mal den Mut, es zu leugnen.« Er fuhr herum. »Rede, kleiner Mann. Erzähl mir von Krage. Erzähl mir von der Einfriedung.«
Asas Gesicht wurde weiß. Er rückte erst mit der Sprache heraus, als Raven ihm
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