Nacht über Juniper
enden wir alle. Arm oder reich, schwach oder stark.« Er trat gegen eine Mumie. »Die Reichen bleiben allerdings in besserem Zustand. Asa, was liegt auf der anderen Seite?« »Da bin ich nur etwa hundert Meter weit gegangen. Alles das gleiche.« Er versuchte, eine Überfahrtsurne aufzubrechen.
Raven grunzte, nahm eine Urne, öffnete sie und schüttete einige Münzen in seine Hand. Er hielt sie näher an die Fackel. »Hm. Wie hast du ihr Alter erklärt, Asa?« »Geld kennt keine Herkunft«, sagte Shed. Asa nickte. »Und ich hab so getan, als ob ich einen vergrabenen Schatz gefunden hätte.« »Ich verstehe. Geh vor.«
Bald sagte Asa: »Bis hierhin war ich gekommen.« »Geh weiter.«
Sie wanderten weiter, bis selbst Raven die niederdrückende Atmosphäre der Höhle spürte.
»Genug. Wir gehen wieder nach oben.« Als sie draußen standen, sagte er: »Holt die Werk- zeuge. Verdammt. Ich hatte mir mehr erhofft.« Bald kamen sie mit einem Spaten und Seilen zurück. »Shed, heb dort drüben ein Loch aus. Asa, halte dieses Seilende fest. Wenn ich rufe, ziehst du es ein.« Raven stieg in die Katakom- ben hinunter.
Asa blieb wie befohlen an Ort und Stelle stehen. Shed buddelte. Nach einer Weile fragte Asa: »Shed, was macht er nur?«
»Das weißt du nicht? Ich dachte, du wüßtest alles, was er tut.« »Das habe ich Krage auch gesagt. Ich konnte ihm nicht die ganze Nacht auf den Fersen blei- ben.«
Shed verzog das Gesicht, hob einen weiteren Spaten voll Erde aus. Er konnte sich schon denken, wie Asa arbeitete. Indem er die meiste Zeit irgendwo verschlief. Spitzelei hätte sich nicht mit Holzsammeln und Grabräuberei vertragen. Shed war erleichtert. Asa wußte nicht, was er und Raven getan hatten. Aber über kurz oder lang würde er es erfahren.
Er horchte in sich hinein und fand nur wenig Selbstverachtung. Verdammt! Er hatte sich be- reits an diese Verbrechen gewöhnt. Raven formte ihn schon nach seinem Bild. Raven schrie etwas. Asa zog. Er rief: »Shed, hilf mir mal. Ich schaff das nicht alleine.« Schicksalsergeben ging Shed ihm zur Hand. Ihr Fang war genau das, was er erwartet hatte, eine Mumie, die wie ein Bewohner des Abgrundes der Vergangenheit aus der Finsternis her- vorglitt. Er wandte den Blick ab. »Pack ihn an den Füßen, Asa.« Asa würgte. »Mein Gott, Shed. Mein Gott. Was tust du?« »Sei still und tu das, was man dir sagt. Das ist am besten so. Nimm die Füße.« Sie schleiften die Leiche in das Gebüsch neben Sheds Grube. Eine Überfahrtsurne rollte aus einem Bündel, das an der Brust der Mumie festgebunden war. Das Bündel enthielt zwei Dut- zend weitere Urnen. Also. In dem Loch sollten leere Urnen vergraben werden. Warum füllte sich Raven nicht schon dort unten die Taschen? »Laß uns verschwinden, Shed«, jammerte Asa. »Geh wieder an dein Seil.« Für das Leeren der Urnen brauchte man Zeit. Und Raven hatte zwei Männer an der Oberfläche, die außer Nachdenken wenig zu tun hatten. Also. Die Toten. Sie waren zur Beschäftigung gedacht. Und natürlich auch als Anreiz. Zwei Dutzend Urnen mit jedem Leichnam ergaben einen ganz netten Haufen. »Shed…«
»Wohin würdest du denn weglaufen, Asa?« Der Tag war ungewöhnlich klar und warm für die Jahreszeit, aber es herrschte immer noch Winter. Aus Juniper gab es kein Entkommen. »Er würde dich finden. Geh wieder an dein Seil. Du steckst jetzt mit drin, ob es dir paßt oder
nicht.« Shed grub weiter.
Raven schickte sechs Mumien hinauf. An jeder war ein Urnenbündel befestigt. Dann kam Raven zurück. Er musterte Asas aschfahles Gesicht, Sheds Resignation. »Du bist dran, Shed.« Shed schluckte, machte den Mund auf, erstickte seinen Protest, schlich zum Loch. Er blieb davor stehen. Nur eine Haaresbreite trennte ihn vom Aufbegehren. »Mach schon, Shed. Wir haben nicht ewig Zeit.« Marron Shed stieg zu den Toten hinab.
Scheinbar war er eine Ewigkeit in den Katakomben, suchte wie betäubt Leichen aus, sam- melte Urnen zusammen, zerrte seine schaurige Beute zum Seil. Sein Verstand hatte sich in eine andere Wirklichkeit begeben. Dies hier war der Traum, der Alptraum. Zuerst begriff er es nicht, als Raven ihm zurief, daß er nach oben kommen sollte. Er stieg in die Abenddämmerung hinauf. »Ist es genug? Können wir jetzt gehen?« »Nein«, erwiderte Raven. »Wie haben sechzehn. Ich schätze mal, daß wir etwa dreißig auf die Wagen bekommen.«
»Oh. In Ordnung.«
»Du ziehst sie rauf«, sagte Raven. »Asa und ich gehen hinunter.« Shed zog. Im silbernen Licht eines
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