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Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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zu drei Vierteln vollen Mondes schienen die toten Ge- sichter ihn anklagend anzustarren. Er schluckte seinen Abscheu hinunter, legte sie zu den an- deren, leerte dann die Urnen.
Er war in Versuchung, das Geld an sich zu raffen und loszurennen. Er blieb mehr aus Gier als aus Furcht vor Raven. Dieses Mal war er Teilhaber. Dreißig Leichen zu dreißig Leva be- deuteten neunhundert Leva, die aufzuteilen waren. Selbst wenn er einen kleineren Anteil be- kam, würde er reicher sein, als er es sich je erträumt hatte. Was war das? Nicht Ravens Ruf zum Hinaufziehen. Es klang eher, als ob jemand schrie… Er wäre beinahe losgerannt. Einen Augenblick lang verlor er völlig die Fassung. Ravens Ge- brüll brachte ihn wieder zu sich. Die kalte, ruhige Verachtung des Mannes war verschwunden. Shed zerrte. Diese Ladung war schwer. Er schnaufte, rackerte sich ab… Raven kam herauf- gekrabbelt. Seine Kleidung war zerrissen. Eine blutende Wunde zog sich über seine Wange. Sein Messer troff rot. Er wirbelte herum und packte das Seil. »Zieh!« schrie er. »Verdammt, zieh!«
Asa kam einen Augenblick später, am Seil festgebunden, hinauf. »Was ist passiert? Mein Gott, was ist passiert?« Asa atmete noch, aber das war auch schon alles. »Irgend etwas hat uns angefallen. Es hat ihn zerfetzt, bevor ich es töten konnte.« »Ein Hüter. Ich hatte dich gewarnt. Hol noch eine Fackel her. Wir müssen sehen, wie schlimm es um ihn steht.« Raven blieb sitzen, völlig durcheinander. Shed holte die Fackel und zündete sie an.
    Asas Verletzungen waren nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Eine Menge Blut war
geflossen, und Asa war im Schock, aber er lag nicht im Sterben. »Wir sollten von hier ver- schwinden, Raven. Bevor die Wächter kommen.« Raven erlangte seine Fassung wieder. »Nein. Da war nur eins. Das habe ich getötet. Wir sind nun schon einmal hier. Dann wollen wir es auch richtig machen.« »Was ist mit Asa?«
»Weiß ich nicht. Wir gehen wieder an die Arbeit.« »Raven, ich bin völlig erschöpft.«
»Du wirst noch sehr viel müder sein, wenn wir erst fertig sind. Komm schon. Laß uns hier aufräumen.«
Sie schleppten die Leichen zu den Wagen, dann die Werkzeuge, dann brachten sie Asa nach unten. Als sie die Trage durch die Mauer zwängten, fragte Shed: »Was sollen wir mit ihm machen?«
Raven sah ihn an, als hielte er ihn für einen Schwachkopf. »Was glaubst du denn, Shed?« »Aber…«
»Es spielt jetzt wohl keine große Rolle mehr, oder?« »Wahrscheinlich nicht.« Aber es spielte doch eine Rolle. Asa war nicht viel wert, aber Shed kannte ihn. Er war kein Freund, aber sie hatten einander geholfen… »Nein. Das kann ich nicht, Raven. Er kann es schaffen. Wenn ich sicher wäre, daß er abkratzt, in Ordnung, gut. Keine Leiche, keine Fragen. Aber ich kann ihn nicht umbringen.« »Schau an. Doch ein wenig Rückgrat. Wie hältst du seine Zunge im Zaum? Er gehört zu der Sorte, dessen Plappermaul dir eine durchschnittene Kehle einbringen kann.« »Ich werde schon mit ihm fertig.«
»Ganz wie du meinst, Partner. Es ist dein Hals.« Als sie die schwarze Burg erreichten, war die Nacht schon weit fortgeschritten. Raven fuhr als erster hinein. Shed folgte ihm dichtauf. Sie hielten die Wagen am selben Durchgang wie zuvor an. Der Ablauf war ebenfalls der gleiche. Nachdem sie die Leichen ausgelegt hatten, schritt ein langes dünnes Geschöpf die Reihe ab. »Zehn. Zehn. Dreißig. Zehn. Zehn.« Und so weiter.
Raven begehrte heftig auf. Die einzigen Angebote über zehn waren für die Männer, die ih- nen zur Einfriedung gefolgt waren, und für Asa, der im Wagen geblieben war. Der hochgewachsene Mann sah Raven an. »Die hier sind schon zu lange tot. Sie haben nur wenig Wert. Wenn du nicht zufrieden bist, dann nimm sie wieder mit.« »In Ordnung, schon recht. Gib schon her.« Das Wesen zählte die Münzen ab. Von zehn zählte Raven jeweils sechs für sich ab. Den Rest gab er Shed. Dabei sagte er zu dem langen Geschöpf: »Dieser Mann ist mein Partner. Es
    kann sein, daß er allein hierher kommt.«
Die dünne Gestalt neigte den Kopf, holte etwas aus seiner Kleidung hervor und reichte es an Shed weiter. Es war ein silberner Anhänger, der ineinander verschlungene Schlangen darstell- te.
»Trage das, wenn du allein hierher kommst«, sagte Raven. »Es sichert dir freies Geleit.« Un- ter seinem eisigen Blick schob Shed den Anhänger in eine Tasche, die bereits mit Silber ge- füllt war.
Er rechnete. Einhundertzwölf Leva als Anteil für ihn. Er

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