Nacht über Juniper
mißglückten Wohlfahrtsfälle.
Sie brachte ihm etwas, das derart stank, daß selbst ein Zauberer es nicht angerührt hätte. »Trink es rasch. Dann geht es leichter herunter.« »Das kann ich mir vorstellen.« Halb und halb betete er, daß er an einer Vergiftung sterben möge, und stürzte das stinkende Gebräu hinunter. Er japste nach Luft und fragte dann: »Wann kommen sie? Wieviel Zeit habe ich noch?« »Wer, Meister Shed?«
»Die Inquisitoren. Die Leute vom Magistrat. Oder wen auch immer du gerufen hast.« »Warum sollten sie hierherkommen?«
Unter Schmerzen hob er seinen trüben Blick zu ihr auf. Sie flüsterte: »Ich sagte dir doch, ich werde alles tun, um aus dem Stiefel herauszukommen. Das hier ist die Chance, auf die ich gewartet habe. Wir sind jetzt Partner, Meister Shed. Zu gleichen Teilen.«
Shed vergrub den Kopf in den Händen und stöhnte. Es würde niemals aufhören. Nicht, bis er nicht davon verschlungen wurde. Er verfluchte Raven und alle seine Ahnen.
Der Schankraum war leer. Die Tür war verschlossen. »Zuerst müssen wir uns um Gilbert kümmern«, sagte Lisa. Shed nickte mehrmals, ohne aufzublicken. »Ihm Schmuck zu geben, den er wiedererkennen konnte, war dumm. Wenn wir ihn nicht zu- erst töten, wird er uns umbringen.«
Wieder nickte Shed. Warum ich? Jammerte er innerlich. Was habe ich nur getan, um so etwas zu verdienen? »Und denk nur nicht, daß du mich ebenso loswerden kannst wie Sue und diesen Erpresser. Mein Vater hat einen Brief in Verwahrung, den er Bullock übergeben wird, falls ich ver- schwinde.«
»Du bist zu schlau für dein eigenes Wohl.« Und dann: »Bald ist es wieder Winter.«
»Ja. Aber wir werden es nicht so machen wie Raven. Es ist zu gefährlich und zu mühsam. Wir werden uns als Wohltäter erweisen. Laß sämtliche Obdachlosen herkommen. Jede Nacht können einer oder zwei verschwinden.«
»Du redest von Mord!«
»Wen schert’s? Niemanden. Sie sind sogar besser dran. Nenn es einen Akt der Barmherzig-
keit.«
»Wie kann jemand, der so jung ist, schon so herzlos sein?« »Im Stiefel kommt man nicht voran, wenn man ein Herz hat, Meister Shed. Wir richten uns eine Stelle ein, wo die Kälte sie frisch hält, bis wir eine Wagenladung zusammen haben. Dann können wir sie vielleicht einmal die Woche hinauffahren.« »Der Winter…«
»… wird meine letzte Jahreszeit im Stiefel sein.« »Das mache ich nicht.«
»O doch, du machst es. Oder du wirst von Bullock hören. Du hast keine andere Wahl. Du hast jetzt einen Partner.«
»Gott, erlöse mich von dem Bösen.«
»Bist du denn weniger böse als ich? Du hast fünf Menschen getötet.« »Vier«, war sein lahmer Protest.
»Glaubst du etwa, daß Sue noch lebt? Haarspaltereien. Ganz gleich, von welcher Seite man es betrachtet, du bist des Mordes schuldig. Du bist ein Mörder, der so wenig mit Geld umge- hen kann, daß ihm kein einziger Gersh wirklich gehört. So dumm, daß er ständig mit Sues und Gilberts aneinandergerät. Meister Shed, man kann nur einmal hingerichtet werden.« Wie sollte man gegen soziopathische Gedankengänge ankommen? Lisa war der Mittelpunkt von Lisas Welt. Andere Menschen existierten nur, damit man sie ausbeuten konnte. »Da gibt es noch ein paar, über die wir nachdenken müssen, wenn wir die Sache mit Gilbert erledigt haben. Krages Helfer, der damals entkommen ist. Er weiß, daß es seltsam war, daß die Leichen nicht aufgetaucht sind. Noch hat er nicht geredet, oder es hätte sich schon im ge- samten Stiefel herumgesprochen. Aber vielleicht redet er eines Tages doch. Und dann ist da noch der Mann, den du angekauft hast, um den Erpresser abzutun.« Sie klang wie ein General, der einen Feldzug plant. Eine ganze Mordserie plante. Wie konnte nur jemand…? »Ich will nicht noch mehr Blut an meinen Händen haben, Lisa.« »Was hast du denn für eine Wahl?«
Er konnte nicht abstreiten, daß Gilberts Tod sich auf seine Überlebensrechnung vorteilhaft auswirken würde. Und nach Gilbert noch jemand. Bevor sie ihn vernichtete. Irgendwann wür- de sie einmal weniger wachsam sein.
Was war mit diesem Brief? Verdammt. Vielleicht mußte zuerst ihr Vater verschwinden… Die Falle war groß und bot keine erkennbaren Fluchtwege. »Das ist vielleicht die einzige Chance für mich, hier herauszukommen, Meister Shed. Da
kannst du Gift drauf nehmen, daß ich sie ergreife.«
Shed schüttelte sich aus seiner Lethargie, beugte sich vor und starrte in den Kamin. Sein ei- genes Überleben stand an oberster Stelle. Gilbert mußte
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