Nacht unter Tag
habt mich glauben gemacht, dass ich nur Daniel, dich und Ursula hätte. Ihr habt mir die Chance genommen, meinen Großvater zu kennen, während ich aufwuchs. Meine Großmutter wäre vielleicht noch am Leben, wenn sie mich bei sich gehabt hätte.«
Matthias atmete den Rauch aus. »Gabe, es gab kein Zurück für uns. Meinst du, wenn du unter Brodie Grants Fuchtel aufgewachsen wärst, wäre das ein besseres Leben gewesen als das, das du hattest?« Er schnaubte verächtlich. »Das würdest du nicht sagen, wenn du nur einen Schimmer davon hättest, wie schwer er Cat das Leben gemacht hat.« Er stand auf, holte eine Platte Hasch und schnitt mit einem scharfen Messer ein Stück davon ab.
»Aber ich habe keine Ahnung, oder? Weil ich wegen euch beiden und den Entscheidungen, die ihr für mich getroffen habt, nie die Gelegenheit bekam, diese Erfahrung zu machen.« Gabriel schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Gut, ich werde die verlorene Zeit aufholen. Ich gehe nach Schottland zurück. Ich werde meinen Großvater suchen und ihn selbst kennenlernen. Vielleicht ist er das Ungeheuer, als das ihr ihn darstellt. Oder vielleicht ist er nur jemand, der das Beste für seine Tochter wollte. Und nach dem zu urteilen …«, er schlug mit der Hand auf den Brief, dass die Seiten im matten Licht flatterten, »lag er nicht so sehr falsch. Ich meine, mein Vater war ja nicht gerade ein vorbildlicher Bürger, oder?«
Matthias ließ das Messer fallen und starrte Gabriel an. »Ich glaube, dorthin zurückzugehen ist keine besonders gute Idee.«
»Warum nicht? Es ist Zeit, dass ich meine Familie kennenlerne, meinst du nicht?«
»Darum geht es nicht.«
»Worum denn dann?«
Matthias machte eine hilflose kleine Handbewegung. »Sie werden wissen wollen, wo du die letzten zweiundzwanzig Jahre gewesen bist. Und das ist durchaus ein Problem für mich.«
»Was hat es mit dir zu tun?«
»Denk doch mal nach, Gabe. Mord oder Geiselnahme verjährt nicht. Sie werden mich aufspüren und den Rest meines Lebens einsperren.«
Toby hatte eine Pistole dabei
. »Ich werde ihnen nichts verraten, das dich belastet«, sagte Gabriel und verzog verächtlich den Mund. »Du brauchst dich um deine eigene Haut nicht zu sorgen. Darauf werde ich achten.«
Matthias lachte. »Du hast wirklich keine verdammte Ahnung, wer dein Großvater ist. Du meinst, du kannst Brodie Grant einfach etwas abschlagen? Er wird deine ganze Vergangenheit aufdecken, wird alles zurückverfolgen und jede Bewegung aufdecken, die du in all den Jahren gemacht hast. Er wird nicht ruhen, bis er mich gekreuzigt hat. Hier geht es nicht nur um dich.«
»Es ist mein Leben.« Sie schrien sich jetzt beide an, Empörung und Angst schürten die von Drogen und dem übermäßigen Alkoholgenuss genährte Paranoia. »Wenn er mich zurückbekommt, warum zum Teufel sollte sich mein Großvater dann noch für dich interessieren?«
»Weil er den Wunsch, Rache zu nehmen, nie aufgeben wird, damit er nicht die Verantwortung übernehmen muss.«
»Verantwortung? Verantwortung wofür?«
»Dafür, dass er Cat umgebracht hat.« Schon während er es aussprach, verzog sich Matthias’ Gesicht vor Entsetzen. Sobald ihm die Worte über die Lippen gekommen waren, wusste er um die Ungeheuerlichkeit dessen, was er gerade gesagt hatte.
Gabriel starrte ihn ungläubig an. »Du bist verrückt. Du behauptest, dass mein Großvater seine eigene Tochter erschossen hat?«
»Genau das sage ich. Ich glaube nicht, dass er vorhatte …«
Gabriel sprang auf, und sein Stuhl fiel krachend zu Boden. »Ich kann’s nicht fassen … du verlogenes Stück … du würdest alles Mögliche sagen, um dich aus der Verantwortung zu stehlen«, rief er unzusammenhängend. »Du hattest eine Pistole dabei. Du bist derjenige, der sie erschossen hat, oder? Das ist in Wirklichkeit passiert. Nicht mein Großvater. Du. Deshalb willst du nicht, dass ich dorthin zurückgehe, weil du dich nicht deinen eigenen Taten stellen willst.«
Matthias stand auf und ging mit ausgestreckten Händen um den Tisch herum auf Gabriel zu. »Du verstehst das alles dermaßen falsch«, beteuerte er. »Bitte, Gabe.«
Gabriels Gesicht war zu einer Maske der Wut und des Schocks erstarrt. Er nahm das Messer vom Tisch und stürzte sich auf Matthias. Er raste vor Zorn und Schmerz, und obwohl er keine eindeutige Absicht hatte, nahm alles seinen Lauf wie nach einem minutiösen Plan. Matthias brach zusammen und fiel dann nach hinten, ein dunkelroter kleiner Punkt wurde schnell zu
Weitere Kostenlose Bücher