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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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das nicht angetan. Er hätte uns nie so verletzt.«
    »Hätte Mick ihn überreden können? Sie sagten, dass sie schon seit der Schulzeit Freunde waren. Wer war der Anführer? Wer derjenige, der folgte? Es gibt immer einen, der die Richtung angibt, und einen, der mitkommt. Sie wissen das, Angie. War Mick der Anführer?« Niemand konnte so sanft, aber bestimmt drängen wie Karen, wenn sie hinter etwas her war.
    »Das nehme ich schon an, ja. Mick war eher extrovertiert, Andy viel ruhiger. Aber sie waren ein Gespann. Sie gerieten immer in Schwierigkeiten, aber in keine schlimmen. Nicht mit der Polizei. Nur immer Ärger in der Schule. Sie haben in der Chemiestunde mit Feuerwerkskörpern experimentiert. Haben die Schreibtische ihrer Lehrer verklebt. Andy war gut im Reden, und Mick war gestalterisch begabt, so konnten sie Poster mit falschen Ankündigungen von Schulveranstaltungen anfertigen. Oder Mick fälschte Mitteilungen von Lehrern, damit die beiden in den Fächern freihatten, die sie nicht mochten. Oder sie stifteten Verwirrung in der Bibliothek, indem sie die Umschläge der Bücher vertauschten. Ich hätte einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn ich jemals Schüler wie sie gehabt hätte. Aber sie wuchsen aus diesen Dingen heraus. Zur Zeit des Streiks hatten sich beide in ihrem Leben zurechtgefunden.« Dabei klang in ihrer Stimme mehr als nur ein schwaches Bedauern mit. »Nun gut, theoretisch hätte Mick Andy überreden können, abzuhauen. Aber nicht endgültig. Sie wären zurückgekommen. Sie hätten nicht wegbleiben können. Sie waren zu tief verwurzelt.«
    »Sie haben Ihre Wurzeln ja auch ausgerissen«, bemerkte Karen.
    »Ich habe mich in einen Neuseeländer verliebt, und meine ganze Familie war tot«, erwiderte Angie knapp. »Ich hinterließ niemanden, der trauerte.«
    »Okay. Können wir auf Mick zurückkommen? Sie sagten, Andy hätte angedeutet, dass es in dessen Ehe Probleme gab?«
    »Sie hat ihn in diese Ehe wie in eine Falle gelockt, wissen Sie. Andy dachte immer, dass sie absichtlich schwanger geworden war. Angeblich nahm sie die Pille, die aber erstaunlicherweise nicht wirkte, und plötzlich war Misha schon unterwegs. Sie wusste, dass Mick aus einer anständigen Familie kam, mit Leuten, die sich nicht vor ihrer Verantwortung drückten. Also hat er sie natürlich geheiratet.« Sie klang bitter, und Karen fragte sich, ob Angie für Mick Prentice geschwärmt hatte, bevor der Neuseeländer aufkreuzte.
    »Also nicht gerade der beste Anfang.«
    »Zu Beginn schienen sie recht glücklich zu sein.« Angies Eingeständnis kam widerwillig und langsam. »Mick behandelte sie wie eine kleine Prinzessin, und sie ließ es sich gefallen. Aber als die harten Zeiten kamen, gefiel ihr das überhaupt nicht mehr. Ich dachte damals, dass sie ihn gedrängt hatte, als Streikbrecher arbeiten zu gehen, weil sie genug davon hatte, immer pleite zu sein.«
    »Aber sie litt wirklich, nachdem er wegging«, warf Karen ein. »Es war ein furchtbares Stigma, die Frau eines Streikbrechers zu sein. Sie hätte nicht zugelassen, dass er sie zurückließ und sie alldem allein aussetzte.«
    Angie murmelte abschätzig: »Sie hatte keine Ahnung, was es bedeuten würde, bis es sie traf. Sie kapierte es nicht. Sie war keine von uns, wissen Sie. Die Leute reden von der Arbeiterklasse wie von einer großen Masse, aber die Grenzlinien sind darin genauso fein definiert wie in jeder anderen Klasse. Sie war in East Wemyss geboren und aufgewachsen, gehörte aber nie zu uns. Ihr Dad machte sich nie die Hände schmutzig. Er arbeitete in der Kooperative, stand hinter der Theke im Laden. Er trug bei der Arbeit Schlips und Kragen. Ich wette, dass er niemals im Leben Labour gewählt hat. Deshalb bin ich nicht sicher, wie gut sie verstand, was ihr geschehen würde, wenn Mick wegging.«
    Das leuchtete ein. Karen begriff intuitiv, was Angie meinte. Sie kannte solche Leute aus ihrer eigenen Ortschaft. Leute, die nirgendwohin passten, an deren Hintern eine Rille zurückgeblieben war, weil sie ihr ganzes Leben lang auf dem Zaun gesessen hatten. Dies sprach dafür, dass Mick Prentice den Streik gebrochen haben könnte. Aber er hatte es nicht getan. »Es sieht heute so aus, Angie, als sei Mick in der Nacht damals gar nicht mit den Streikbrechern weggegangen. Unsere vorläufigen Befragungen weisen darauf hin, dass er sich den fünf Männern nicht angeschlossen hatte, die nach Nottingham gingen.«
    Ein schockiertes Schweigen. Dann sagte Angie: »Er hätte doch allein

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