Nacht unter Tag
irgendwo anders hingehen können.«
»Er hatte kein Geld. Keine Transportmöglichkeit. Er nahm, als er morgens wegging, nichts mit außer seinen Malutensilien. Was immer mit ihm passierte, ich glaube nicht, dass es etwas mit dem Brechen des Streiks zu tun hatte.«
»Was ist dann aber mit ihm passiert?«
»Ich weiß es noch nicht«, gab Karen zu. »Aber ich habe vor, es herauszufinden. Und die Frage, der ich nachgehen muss, lautet: Angenommen, Mick ging nicht als Streikbrecher weg – wer hätte dann wohl einen Grund gehabt, ihn aus dem Weg zu räumen?«
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Freitag, 29. Juni 2007,
Nottingham
F emi Otitoju gab die vierte Adresse bei Google Earth ein und studierte die Ergebnisse. »Mach schon, Fem«, murmelte Mark Hall. »Der DCI hat uns doch im Blick. Er fragt sich bestimmt, wieso du am Computer rumspielst, nachdem er uns einen Auftrag erteilt hat.«
»Ich suche die beste Reihenfolge für die Befragungen, damit nicht der halbe Tag mit Hin- und Herfahren draufgeht.« Sie betrachtete die vier Namen und Adressen, die sie von einem Kriminalbeamten in Fife bekommen hatte, und ordnete und numerierte sie in einer logischen Reihenfolge. »Und ich hab’s dir doch gesagt, nenn mich nicht Fem.« Sie druckte die Liste aus, faltete sie ordentlich zusammen und steckte sie in ihre glänzende Handtasche. »Mein Name ist Femi.«
Mark rollte mit den Augen, ging hinter ihr aus dem Büro für ungelöste Fälle hinaus und warf DCI Mottram ein nervöses Lächeln zu. Er hatte sich so nach einer Versetzung zur Kripo gesehnt; hätte man ihn aber vorgewarnt, dass dies eine Zusammenarbeit mit Femi Otitoju mit sich bringen würde, dann hätte er es sich vielleicht noch mal überlegt. Als sie beide noch in Uniform arbeiteten, tuschelte man auf dem Polizeirevier, bei Otitoju bedeute PC nicht Police Constable, sondern Personal Computer. Ihre Uniform hatte immer tadellos ausgesehen, ihre Schuhe waren so glänzend poliert wie beim Militär. Auch ihre Zivilkleidung entsprach diesem Muster. Ordentlich gebügeltes, unauffälliges graues Kostüm, blendend weiße Bluse, untadelige Frisur. Und die Schuhe genauso blitzblank. Alles, was sie tat, wurde genau nach Vorschrift erledigt. Alles war präzise. Nicht dass Mark etwas dagegen gehabt hätte, die Dinge ordentlich zu erledigen. Aber er hatte immer gefunden, dass man besonders bei einer Befragung Raum für Spontaneität lassen müsste. Wenn der Befragte vom Thema abwich, schadete das erst mal nicht. Manchmal versteckte sich die Wahrheit hinter abschweifenden Erzählungen. »Alle vier waren also Bergleute aus Fife, die den Streik brachen, um hier in den Zechen zu arbeiten?«, fragte er.
»Stimmt. Es waren ursprünglich fünf, aber einer, Stuart McAdam, starb vor zwei Jahren an Lungenkrebs.«
Wie konnte sie nur all das Zeug behalten? Und warum machte sie sich die Mühe? »Und wen besuchen wir zuerst?«
»William John Fraser. Genannt Billy. Dreiundfünfzig, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, eins an der Leeds University und das andere in Loughborough. Er ist jetzt selbständiger Elektriker.« Sie richtete den Riemen ihrer Tasche auf ihrer Schulter. »Ich fahre, ich weiß, wo wir hinmüssen.«
Sie traten auf den windigen Parkplatz hinter dem Revier und gingen auf ein Zivilfahrzeug der Kripo zu. Mark vermutete, dass der Wagen voller Müll von anderen Benutzern sein würde. Er fand, Kripobeamte und Autos waren wie Hunde und Laternenpfähle. »Wird er jetzt nicht bei der Arbeit sein?« Er öffnete die Beifahrertür und fand Plastikbehälter für belegte Brote, leere Coladosen und fünf Verpackungen von Snickers-Riegeln im Fußraum vor. Aus dem Augenwinkel sah er etwas Weißes leuchten. Otitoju hielt ihm eine leere Einkaufstüte hin. »Hier«, sagte sie. »Steck den Dreck da rein, ich bring ihn dann zum Mülleimer.«
Mark rief sich in Erinnerung, dass sie manchmal doch zu etwas gut war. Sie nahmen die große Umgehungsstraße, auf der auch nach der schlimmsten morgendlichen Stoßzeit noch viel Verkehr war, und fuhren in westlicher Richtung. An beiden Seiten der Straße standen schmutzige rote Backsteinhäuser und die Art von Läden, die sich gegenüber noblerer Konkurrenz gerade noch behaupten konnten. Mini-märkte, Nagelstudios, Eisenwarenläden, Waschsalons, Imbissstuben und Friseure. Es war deprimierend, daran vorbeizufahren. Mark war dankbar für seine Wohnung in einer umgebauten Fabrik in der Stadtmitte. Sie war zwar klein, aber er musste sich im Privatleben nicht mit diesem Mist
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