Nacht unter Tag
einem Aschenbecher und einem zerfledderten Taschenbuch von Sven Hassel daneben. Nichts war mehr da, dem er nachtrauern würde. Helen war schon lange weg, also konnte er dem ganzen Mist hier ruhig den Rücken kehren.
Er ging polternd hinunter und öffnete genau in dem Moment die Tür, als Stuart anklopfen wollte. »Bist du bereit?«, fragte Stuart.
Ein tiefer Atemzug. »So bereit, wie ich nur sein kann.« Er schob Stuart eine Reisetasche mit dem Fuß zu und griff nach einer anderen Tasche sowie einem schwarzen Müllsack. Zehn Jahre in der verdammten Zeche, und das war alles, was er vorzuweisen hatte.
Sie nahmen zwei der vier Stufen, die sie zum Wagen hinuntergehen mussten, und waren plötzlich nicht mehr allein. Eine Gestalt kam eilig um die Ecke wie jemand, der etwas Wichtiges vorhatte. Zwei Meter weiter verwandelte sie sich in Mick Prentice. Ferguson spürte, wie eine kalte Hand nach seiner Brust griff. Herrgott noch mal, das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Dass Prentice auf sie losging, ihnen zornig entgegenschrie und alle Türen in der ganzen Straße aufflogen.
Stuart warf seine Reisetasche hinten in den Wagen, wo Billy Fraser schon auf einem Stoß Taschen saß. Er drehte sich zu Prentice um, bereit, notfalls zu reagieren.
Aber die Wut, die er erwartet hatte, richtete sich nicht gegen ihn. Prentice stand einfach nur da und sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Er blickte sie an und schüttelte den Kopf. »Nein, Jungs. Nein, tut das nicht«, bat er. Er wiederholte es immer wieder. Ferguson konnte kaum glauben, dass dies der gleiche Mann war, der sie immer gedrängt, zusammengetrommelt und angestachelt hatte, der Gewerkschaft treu zu bleiben. Da konnte man sehen, wie dieser Streik sie alle zermürbt hatte, dachte er.
Ferguson drückte sich an Prentice vorbei, verstaute seine Taschen und kletterte neben Fraser hinein, der die Türen hinter ihm zuzog. »Verdammt, das ist wirklich verblüffend«, meinte Fraser.
»Er hat ausgesehen, als hätte ihm gerade jemand in den Magen geboxt«, stellte Ferguson fest. »Der Typ ist durchgedreht.«
»Sei dankbar«, erwiderte Fraser. »Das Letzte, was wir brauchen, wäre, dass er wie eine verdammte Rakete losgeht und die ganze Gegend hier aufscheucht.« Als der Motor zu brummen begann, hob er die Stimme: »Fahren wir los, Stu. Jetzt fängt das neue Leben an.«
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Freitag, 29. Juni 2007
G ibt es Zeugen für dieses Zusammentreffen?«, fragte Otitoju.
»Stuart ist tot, also bin ich als einziger Zeuge übrig«, erwiderte Fraser. »Ich war im Wagen. Die Hecktür war offen, und ich habe alles gesehen. Johnny hat recht. Prentice war bitter enttäuscht. Als hätten wir ihn persönlich beleidigt.«
»Es wäre vielleicht anders gelaufen, wenn Iain im Wagen gesessen hätte und nicht du«, überlegte Ferguson.
»Welchen Unterschied hätte das gemacht?«, wollte Mark wissen.
»Iain und er waren Freunde. Prentice hätte vielleicht das Bedürfnis gehabt, es ihm auszureden. Aber Iain wurde als Letzter abgeholt, deshalb waren wir aus dem Schneider. Und so haben wir Prentice zum letzten Mal gesehen«, berichtete Ferguson. »Ich habe immer noch Verwandte da oben. Ich hörte, dass er verschwunden ist, habe aber einfach angenommen, dass er mit seinem Freund, dem Typ von der Gewerkschaft, wegging. Ich kann mich nicht erinnern, wie er hieß …«
»Andy Soundso«, erinnerte sich Fraser. »Ja, als man mir sagte, dass beide vermisst werden, hab ich gedacht, sie hätten sich entschieden, abzuhauen und irgendwo anders von vorn anzufangen. Sie müssen verstehen, dass das Leben der Leute damals einfach in die Binsen ging. Manche Männer haben Sachen gemacht … man hätte nie gedacht, dass sie zu so was fähig wären.« Er wandte sich ab und ging zur Tür, trat hinaus und holte seine Zigaretten heraus.
»Er hat recht«, meinte Ferguson. »Und vor allem wollten wir nicht allzu viel darüber nachdenken. Das wollen wir übrigens immer noch nicht. Wenn es also weiter nichts gibt, werden wir Ihnen jetzt einen guten Tag wünschen.« Er nahm sein Stemmeisen und machte sich wieder an die Arbeit.
Mark fielen keine weiteren Fragen ein, und er wandte sich Richtung Tür. Otitoju zögerte kurz und folgte ihm dann zum Wagen. Sie saßen einen Moment schweigend da, dann sagte Mark: »Es muss wirklich sehr schlimm gewesen sein.«
»Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass sie sich so gesetzeswidrig verhielten«, entschied Otitoju. »Der Streik der Bergarbeiter hat einen Keil
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