Nacht unter Tag
Telefon.
Susan Charlesons Stimme war resolut und klar. »Haben Sie zu tun?«
»Ich wollte gerade schwimmen gehen.«
»Sir Broderick ist eine Stunde frei. Er möchte Sie gern weiter über die Hintergründe informieren.«
Hier gab es offensichtlich nichts zu diskutieren. »Gut«, seufzte Bel. »Wo finde ich ihn?«
»Er wird Sie unten im Landrover treffen. Er dachte, Sie möchten vielleicht sehen, wo Catriona wohnte.«
Darüber konnte sie sich nicht beklagen. Alles, was der Story mehr Farbe gab, war auf jeden Fall ihre Zeit wert. »Fünf Minuten«, sagte sie.
»Danke.«
Schnell zog Bel Jeans und Outdoorjacke an und dankte den Modegöttern, dass stilisierte Arbeitsstiefel in Mode gekommen waren, die ihr erlaubten, ungefähr so auszusehen, als sei sie bereit fürs Landleben. Sie schnappte sich ihr Aufnahmegerät und eilte nach unten. Ein glänzender Landrover Defender stand mit laufendem Motor vor der Eingangstür. Brodie Grant saß am Steuer. Selbst aus der Entfernung sah sie, dass er mit behandschuhten Fingern auf das Lenkrad trommelte.
Bel stieg ein und schenkte ihm ihr liebenswürdigstes Lächeln. Seit dem bizarren Gespräch mit der Polizei am Vortag hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Mittags hatte sie allein in ihrem Zimmer einen Imbiss zu sich genommen, und zum Dinner war er nicht erschienen. Judith hatte gesagt, er sei bei einer Benefizveranstaltung, irgendeinem Boxsport-Dinner, zu dem nur Männer zugelassen waren, und sie klang, als sei sie froh, nicht teilnehmen zu müssen. Ihre Unterhaltung war nichtssagend gewesen; entweder Judith selbst oder die allgegenwärtige Susan hatte sie in eine andere Richtung gelenkt, wann immer sie irgendwie aufschlussreich zu werden drohte. Bel war frustriert und hatte das Gefühl, instrumentalisiert zu werden.
Aber jetzt, da sie wieder allein mit ihm war, konnte sie all das verzeihen. Sie zog in Erwägung, ihn zu fragen, ob er wirklich glaube, Karen Pirie lasse sich von ihm lenken wie von dem Gutsherrn eines Kriminalstücks aus den dreißiger Jahren, aber sie verwarf den Gedanken. Es war besser, die Zeit zu nutzen, um ihre Hintergrundkenntnisse zu dem Fall auszubauen. »Danke, dass Sie mir Cats Wohnung zeigen wollen«, sagte sie.
»Wir werden nicht reingehen können«, erklärte er, löste die Handbremse und fuhr los, um das Haus herum und einen Weg an den Fichten entlang. »Seitdem haben verschiedene Mieter dort gewohnt, eigentlich verpassen Sie also nichts. Also, was halten Sie von Inspector Pirie?«
In seinem Gesicht war kein Hinweis darauf zu sehen, was er hören wollte, also entschied sich Bel für die Wahrheit. »Ich glaube, sie gehört zu den Menschen, die man leicht unterschätzt«, antwortete sie. »Ich vermute, dass sie ganz schön raffiniert ist bei ihrer Arbeit.«
»Das ist sie«, pflichtete Grant bei. »Ich nehme an, Sie wissen, dass der frühere Assistant Chief Constable dieser Grafschaft dank ihrer Arbeit eine lebenslange Haftstrafe absitzt. Ein Mann, der anscheinend über jeden Verdacht erhaben war. Aber sie war imstande, seine Integrität in Frage zu stellen. Und als sie erst einmal angefangen hatte, hörte sie nicht wieder auf, bevor sie zweifelsfrei bewiesen hatte, dass er ein kaltblütiger Mörder war. Und deshalb will ich sie bei dieser Sache dabeihaben. Damals, als Catriona starb, haben wir uns alle eines Denkens schuldig gemacht, das sich in traditionellen Bahnen bewegte. Und Sie sehen ja, wohin uns das gebracht hat. Wenn wir es ein zweites Mal versuchen, will ich jemanden dabeihaben, der über den Tellerrand hinausblicken kann.«
»Leuchtet mir ein«, meinte Bel.
»Worüber wollen Sie als Nächstes sprechen?«, wollte er wissen, als sie die Baumgruppe hinter sich ließen und auf eine Lichtung kamen, die an eine hohe Mauer und ein weiteres schleusenartiges Tor grenzte wie das, durch das Bel schon bei ihrer Ankunft gekommen war. Es war offensichtlich, dass niemand auf das Gelände von Rotheswell gelangte, der dort nicht willkommen war. Grant bremste ab, damit die Sicherheitsleute sehen konnten, wer am Steuer saß, und fuhr dann auf die Straße hinaus.
»Was ist danach passiert?«, fragte sie, schaltete ihr Aufnahmegerät an und hielt es zwischen ihnen in der Hand. »Sie bekamen die erste Forderung und fingen an, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Wie ging es danach weiter?«
Starren Blicks schaute Grant durch die Windschutzscheibe und zeigte keine Anzeichen von Gefühl. Sie fuhren an den schachbrettartig angelegten Feldern mit reifendem
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