Nacht unter Tag
dass man das Sonnenlicht im Tee sehen konnte. »Ich bin jetzt seit zweiunddreißig Jahren Witwe, und ich hatte nie einen besseren Nachbarn als den jungen Mick Prentice. Er hat immer allerhand erledigt, was ich nicht mehr schaffte. Es war ihm nie zu viel. Ein netter Bursche, wirklich.«
»Es muss für die Familie schwer gewesen sein während des Streiks.« Karen nahm sich einen von den Schokokeksen, die ihr angeboten wurden.
»Es war für alle schwer. Aber das war nicht der Grund, weshalb Mick zum Streikbrecher wurde und wegging.«
»Nein?« Bleib gelassen, zeig nicht, wie interessiert du bist.
»Sie hat ihn dazu getrieben. Sich genau vor seiner Nase mit diesem Tom Campbell abzugeben. Kein Mann würde sich das bieten lassen, und Mick hatte seinen Stolz.«
»Tom Campbell?«
»Er war dauernd da. Jenny war eine Freundin seiner Frau gewesen. Sie hat geholfen, die arme Seele zu pflegen, als sie Krebs hatte. Aber nachdem sie gestorben ist, war es, als könnte er nicht ohne Jenny sein. Man musste sich fragen, ob da nicht schon die ganze Zeit etwas gelaufen war.« Mrs.McGillivray zwinkerte vertraulich.
»Sie wollen damit sagen, dass Jenny und Tom Campbell eine Affäre hatten?« Karen verkniff sich die Fragen, die sie gern gestellt hätte, aber, wie sie wusste, besser für später aufheben sollte.
Wer war Tom Campbell? Wo ist er jetzt? Warum hat Jenny ihn nicht erwähnt
?
»Ich werde nichts sagen, was ich nicht beschwören kann. Ich weiß nur, dass kaum ein Tag verging, an dem er nicht zu Besuch kam. Und immer wenn Mick aus dem Haus war. Er kam auch nie mit leeren Händen. Kleine Päckchen von diesem und jenem. Während des Streiks behauptete Mick oft, Jenny könne mit einem Pfund länger auskommen als jede andere Frau in Newton. Ich hab ihm nie gesteckt, warum.«
»Wieso hatte Tom Campbell so viel, dass er austeilen konnte? War er nicht auch Bergmann?«
Mrs.McGillivray sah aus, als hätte sich der Tee, den sie gerade getrunken hatte, in Essig verwandelt. »Er war Steiger.« Karen hatte den Verdacht, dass sie der Bezeichnung nicht mehr Respekt zugestand als dem Wort »Kinderschänder«.
»Und Sie meinen, dass Mick herausfand, was sich zwischen den beiden tat?«
Sie nickte nachdrücklich. »Alle in Newton wussten, was los war. Die übliche Geschichte. Die andere Hälfte ist ja immer der, der’s als Letzter erfährt. Und wenn irgendjemand Zweifel gehabt hätte, war Tom Campbell jedenfalls sehr schnell zur Stelle, nachdem Mick weg war.«
Zu spät erinnerte sich Karen, dass sie dem Thema Stiefvater nicht weiter nachgegangen war. »Er ist zu Jenny gezogen?«
»Ein paar Monate verstrichen, bevor er einzog. Hat den Schein gewahrt, wenn Sie mich fragen. Dann hat er die Füße unter Micks Tisch gestreckt.«
»Hatte er nicht selbst ein Haus? Mit dem Gehalt eines Steigers hätte ich gedacht …«
»O ja, er hatte ’n schönes Haus bei West Wemyss. Aber Jenny wollte nicht wegziehen. Sie sagte, es sei wegen des Kindes. Dass es für Misha schon Unruhe genug gegeben hätte, als Mick ging, da müsste man sie jetzt nicht auch noch aus ihrer gewohnten Umgebung reißen.« Mrs.McGillivray schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Aber wissen Sie, ich hab mir dazu meinen Teil gedacht. Ich glaube nicht, dass sie Tom Campbell so geliebt hat wie Mick. Sie mochte schon, was er ihr geben konnte, aber ich glaube, ihr Herz gehörte Mick. Wie sehr sie sich auch beklagt hat, hab ich doch nie geglaubt, dass Jenny Mick nicht mehr liebte. Ich denke, sie ist geblieben, weil sie im Grunde glaubt, dass Mick eines Tages zurückkommen wird. Und sie will sicher sein, dass er weiß, wo sie zu finden ist.«
Karen hielt das für eine Theorie, die auf Seifenoper-Sentimentalität beruhte. Aber sie hatte tatsächlich den Vorteil, dass sie dem einen Sinn gab, was andernfalls unerklärlich blieb. »Und wie ging es mit ihr und Tom weiter?«
»Er hat sein eigenes Haus vermietet und ist hier drüben eingezogen. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun. Er hatte nicht die Art, so natürlich mit den Leuten umzugehen wie Mick. Und zwischen den Jungs von der Lady Charlotte und den Steigern waren die Dinge sowieso nie einfach, besonders nachdem die Zeche 1987 geschlossen wurde.« Die alte Frau schüttelte den Kopf, dass die strähnigen grauen Locken flogen. »Aber Jenny hat ihr Fett abgekriegt.« Sie lächelte hämisch.
»Wie das?«
»Er ist gestorben. Hat auf dem Golfplatz in Lundin Links einen schweren Herzinfarkt gehabt. Es muss bald zehn Jahre her sein.
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