Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
Besonders, wenn man im geschlitztem Rock und mit halb offener Bluse ohne Knöpfe dasteht und es den Männern förmlich ansieht, was in ihren Köpfen so alles vor sich geht.
    Zum Glück interessierten sich die wenigsten von ihnen für mein Gesicht, und außerdem hatte ich für diesen Fall ja extra die Sonnenbrille aufgesetzt.
    Ich selbst erkannte niemanden.
    Als ich mich in die Schlange stellte, hielt ich die eingepackten Bücher vor meinen Bauch, um niemandem die Aussicht auf meinen Ausschnitt zu versperren. Vor mir standen ungefähr zehn oder zwölf Personen am Schalter an.
    Ich wollte die Bücher als Briefpost schicken, nicht als Paket. Das ging schneller.
    Kurz hatte ich sogar die Sendung als Expresspäckchen in Erwägung gezogen, aber dafür hätte ich ein extra Formular ausfüllen müssen, und das wollte ich vermeiden.
    Als Briefpost würden Murphys Bücher schnell genug zu den Produzenten gelangen.
    Wenn nicht morgen, dann eben übermorgen.
    Ich stellte das Päckchen vor meine Füße auf den Boden und holte einen Zwanzigdollarschein aus meiner Handtasche. Mit ein paar Papiertaschentüchern wischte ich sorgfältig mein selbst gebasteltes Päckchen ab. (Falls Sie das nicht wissen sollten: Auch auf Papier kann man Fingerabdrücke gut zum Vorschein bringen.) Ich achtete nicht darauf ob mir jemand zuschaute, denn es ist schließlich jedermanns gutes Recht, ein Päckchen abzuputzen, bevor er es verschickt, oder etwa nicht? Das geht niemanden etwas an und wer würde schon erraten, dass es um Fingerabdrücke ging? Kein Mensch.
    Mit einem der Taschentücher in der Hand hob ich das Päckchen wieder auf, damit ich es nicht mehr mit den Fingern berührte. In der anderen Hand hielt ich das Geld.
    Dann wartete ich, bis ich an die Reihe kam.
    Ich hielt den Kopf gesenkt und sprach mit niemandem, und niemand sprach mich an. Die Warterei zog sich ziemlich hin.
    Viele Menschen sind mir ein Rätsel. Sie gehen irgendwohin, zum Beispiel in ein Postamt, ohne im Geringsten vorbereitet zu sein. Der eine geht mit einem offenen Karton zum Schalter und bittet den Beamten um etwas Klebeband, der andere muss fünf Minuten lang in sämtlichen Taschen nach Geld suchen, bis er endlich das Porto bezahlen kann. Manchmal frage ich mich, was in deren Köpfen so vor sich geht.
    Und die Schalterbeamten trainierten auch nicht gerade fürs Guinness‐Buch der Rekorde, was die Schnelligkeit bei der Kundenabfertigung anbetraf.
    Endlich kam ich dran.
    Ich stellte mein Päckchen auf die Schaltertheke und wünschte der Frau dahinter lächelnd einen guten Tag.
    Sie lächelte freundlich zurück und fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte diese Bücher verschicken.« Mein Päckchen war zu groß, um durch den Schlitz unter dem kugelsicheren Glas (oder Acryl oder was auch immer das für Zeug sein mag) zu passen, deshalb machte sie für mich eine Klappe auf.
    Ich legte den Zwanzigdollarschein auf das Päckchen, schob es hindurch und bat darum, es als Briefpost zu verschicken.
    Sie nickte und schloss die Klappe. Dann stellte sie das Päckchen auf die Waage, sodass Gewicht und Porto auf dem Display angezeigt wurden. Sie frankierte die Sendung, schob mir das Wechselgeld zurück und fragte, ob ich eine Quittung brauchte.
    »Nein, danke.«
    »Schönen Tag noch.«
    »Danke. Ihnen auch.«
    Der nächste Kunde trat an den Schalter. Ich drehte mich zu der Schlange hinter mir um. Jetzt warteten nur noch drei Personen am Schalter. Zwei Frauen – eine Mitte zwanzig, die andere mindestens siebzig – und ein junger Typ, der wohl erst knapp volljährig war. Und jetzt raten Sie mal, wer von den dreien mich anglotzte.
    Und zwar so, dass ihm der Mund offen stehen blieb.
    Trotzdem frage ich mich, ob ihm dabei überhaupt auffiel, dass ich ein Gesicht hatte. Seine Blicke waren jedenfalls nicht daraufgerichtet.
    Ich ging an ihm vorbei zum Ausgang.
    Damit die rothaarige Tussi, die Murphy Scotts Bücher verschickt hatte, nicht mit Judys Auto in Zusammenhang gebracht werden konnte (für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich jemand später für so was interessierte), hatte ich eine Straße weiter geparkt.
    Niemand folgte mir zum Auto.
    Ich stieg unbehelligt ein und fuhr davon.
    Jetzt hatte ich alles erledigt. Nur noch eines blieb zu tun: Ich musste Judys Auto loswerden.
    Ich hatte vor, es irgendwo stehen zu lassen und zu Fuß heimzugehen. Aber wie sollte das gehen mit einer Einkaufstüte voller Knabberbrezeln, einem mir gewidmeten Exemplar von Tote Augen, ein paar

Weitere Kostenlose Bücher