Nacht
Und er würde auch nichts ausplaudern. Schließlich hatte er Elroy umgebracht.
Lass ihn laufen. Wir sind quitt.
Und Judy? Sie hatte zwar versprochen, dichtzuhalten, aber ich konnte ihr nicht trauen. Es war allerdings nicht sehr wahrscheinlich, dass sie jemals eine Gelegenheit bekam, mich zu verpfeifen. Wenn sie nicht schon tot war (ich hielt das durchaus für möglich, selbst wenn Steve das Gegenteil behauptet hatte), würde Steve sie früher oder später umbringen. Sie wusste zu viel, als dass er sie am Leben lassen konnte.
Vielleicht kann ich sie retten?
Prima Idee.
Man kann schlecht jemanden retten, der schon tot ist. Und wenn sie nicht tot war, warum sollte ich sie dann retten? Tote haben einen großen Vorteil. Sie halten die Klappe.
Außerdem würde ich das Lager sowieso nicht finden.
Und wenn ich es fände, würde ich Steve in die Arme laufen.
Ich hatte Schwein gehabt, diesmal mit dem Leben davongekommen zu sein. Das nächste Mal könnte Steve gewinnen.
Vergiss es.
Vergiss sie. Vergiss sie beide. Judy und Steve hat es nie gegeben.
Und ich bin zu Hause und habe fast alles hinter mich gebracht.
Nur noch ein paar Details …
Welche zum Beispiel?
Da war ein Kopf im Pool und eine enthauptete Leiche im Kofferraum und ein Auto und ein Teppich …
Aufräumen. Mal wieder.
Kopf aus dem Pool angeln, Kopf in den Kofferraum …
Steve hat die Autoschlüssel!
Er hatte sie in die Hosentasche gesteckt. Ich hatte es gesehen.
Ohne Elroys Schlüssel kriegte ich den Kofferraum nicht auf.
Und konnte das Auto nicht fahren.
Mir wurde so übel, dass ich mich aufsetzen musste.
Hört das denn nie auf?
Ich hatte Tony nicht mit Absicht getötet! Es war ein unglücklicher Zufall! Ein Unfall!
Und danach hatte ich aufräumen wollen. Aufräumen, vergessen, weiterleben. In Frieden.
Es hatte alles so einfach ausgesehen. Nur ein wenig putzen und eine Leiche beseitigen, Manche Sachen sind aber nicht einfach. Und nicht rückgängig zu machen.
Nichts ist rückgängig zu machen. Niemals.
So sieht es aus.
Eines zieht das andere nach sich.
Du denkst, du hast nur eine Kleinigkeit zu erledigen (Tonys Leiche loswerden), aber dann siehst du auf einmal, dass alles mit allem verdrahtet ist. An jedem Ding, an jeder Entscheidung hängen Hunderte von Drähten, die alle ins Ungewisse führen. Ein Draht führte zu Judy, ein anderer zum Anrufbeantworter und einer zu dem armen Murphy. Egal, wie viele dieser Drähte man auch durchschneidet, sie wachsen immer nach. Einer zu Elroy, einer zu Milo. Und zu Steve. Und wer weiß, was für Drähte ich noch übersehen hatte.
Eigentlich spricht man ja von losen Fäden, aber dieses Bild gefällt mir nicht. Fäden sind weich und dünn, und man kann sie leicht zerreißen. Mir kamen all die Verbindungen eher vor wie Stahldraht.
Versuchen Sie mal, den zu zerreißen. Danach sehen Ihre Hände ziemlich Scheiße aus.
Je länger ich darüber nachdachte, desto verzweifelter wurde ich.
Wird das denn nie ein Ende nehmen?
Nur noch ein paar letzte Drähtchen abschneiden, und ich wäre frei.
Guter Witz.
Ein Draht bleibt mindestens übrig. Immer.
Es ist hoffnungslos.
Sollte ich einfach aufgeben, mich genüsslich in die Badewanne legen und dann zu Bett gehen? So, als ob nichts wäre?
Und morgen früh die Zeitung reinholen und Elroys Auto immer noch in der Einfahrt stehen sehen.
Beweg dich, Alice! Hopp, hopp! Als Erstes kümmerst du dich um Elroys dämlichen Kopf!
Ich sprang auf und schaute in den Pool, wo der Kopf wieder langsam in Richtung Abfluss wanderte.
Ich blickte mich um. Weit und breit kein Steve in Sicht. Ich legte den Säbel hin und sprang ins Wasser. Nach dem ersten Schock genoss ich die Kälte.
Und mir ging’s wieder besser.
Ich war nicht mehr so verzweifelt.
Scheiß auf die Drähte.
An die Arbeit!
Wissen Sie, was mein Fehler war? Ich hatte das Gesamtbild betrachtet. Das darf man nie tun. Es ist der schlimmste Fehler. Man muss immer bescheiden bleiben und sich auf die nahe liegenden Einzelheiten konzentrieren.
Mach immer einen Schritt nach dem anderen.
Und scheiß auf das Gesamtbild.
Alices Leitfaden zum guten Leben, Kapitel eins. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Ich bin nämlich so etwas wie eine Philosophin. Und sehr tiefgründig.
Apropos tiefgründig, ich musste ganz schön tief in den Pool tauchen, bis ich Elroys Kopf zu fassen bekam. Eigentlich hätte ich ihn gern an den Haaren gepackt, aber er lag falsch herum, sodass ich ihm drei Finger in den Mund stecken
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