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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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ich keine fünfzig Meter davon entfernt.
    Vielleicht aber auch eine halbe Meile.
    Oder eine ganze.
    Möglicherweise stand ich aber auch bloß ein paar Schritte davor.
    Aber wo war dann der Bach? Wo waren die Picknicktische? Der Parkplatz?
    Der kleinste Anhaltspunkt hätte mich schon glücklich gemacht, aber ich wusste auch, dass selbst das noch lange keine Garantie dafür wäre, dass ich den Lagerplatz auch wirklich fand. Letzte Nacht hatte ich ihn ja auch nur durch Zufall entdeckt.
    Du musst positiv denken, sagte ich mir.
    Ach ja?
    Vielleicht hat Steve ja ein Freudenfeuer entzündet …
    Oder vielleicht schreit Judy so laut, dass man sie von Weitem hören kann …
    Ich könnte aber auch selber schreien.

    Bei diesem Gedanken schüttelte ich den Kopf und sagte leise zu mir selbst: »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«
    Offenbar schon, denn ich blieb stehen, holte tief Luft und schrie aus voller Kehle:
    »HALLO! ICH BIN’S! ICH HABE ES MIR ANDERS ÜBERLEGT! ICH
    MÖCHTE DOCH MITKOMMEN. HÖRST DU? ICH MÖCHTE, DASS DU
    MICH MITNIMMST!«
    In der Stille des Waldes war meine Stimme bestimmt meilenweit zu hören gewesen.
    Ich blieb stehen und lauschte auf eine Antwort.
    Nach einer Minute kam mir die Erkenntnis, dass Steve selbst dann nicht antworten würde, wenn er mich gehört hätte.
    Kommen würde er vielleicht, aber rufen würde er mich bestimmt nicht.
    »WARTE AUF MICH!«, schrie ich.
    Dann ging ich weiter. Ich war immer noch verschwitzt und kurzatmig, und Jetzt hatte ich zusätzlich auch noch Angst.
    Es konnte gut sein, dass ich durch mein Rufen die Wahrscheinlichkeit, auf Steve zu treffen, drastisch erhöht hatte, aber überrumpeln konnte ich ihn jetzt ganz bestimmt nicht mehr.
    Von jetzt an hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
    »Was bin ich blöd!«, murmelte ich.
    Sei still, dann findet er dich vielleicht nicht.
    Aber du findest ihn dann auch nicht. Genauso wenig wie Elroys Autoschlüssel Willst du wegen der dummen Schlüssel etwa ins Gras beißen?
    Mir war klar, dass ich mich einfach umdrehen und nach Hause gehen musste, um für den Rest der Nacht – wenn nicht gar für den Rest meines Lebens – nichts mehr mit Steve zu tun zu haben. Ich könnte mich in die Badewanne legen und dann zu Bett gehen, und morgen könnte ich dann im Haus klar Schiff machen. Falls es mir nicht gelang, das Blut aus dem Teppichboden zu entfernen, könnte ich mich immer noch in die Hand schneiden und Serena und Charlie eine gut ausgedachte Lügengeschichte auftischen. Die beiden würden sie mir vermutlich sogar glauben, denn sie vertrauten mir.
    Nach Einbruch der Dunkelheit könnte ich dann Elroys Wagen wegschleppen, ihn mit seiner Leiche im Kofferraum und seinem Kopf vor den Rücksitzen irgendwo stehen lassen und dann die ganze Sache ein für alle Mal vergessen.
    Das hätte ich tun können. Natürlich.
    Aber ich machte trotzdem nicht kehrt, sondern ging immer tiefer in den Wald hinein.
    Keine Ahnung, warum ich das tat.
    Vielleicht wollte etwas in mir einfach nicht aufgeben und noch heute Nacht ein Ende herbeiführen, ganz gleich, wie dieses aussehen würde.
    Vielleicht wollte dieses Etwas auch die letzten Drähte durchschneiden.
    Ich ging nicht nur weiter, ich fing auch wieder zu rufen an.
    »STEVE! HEY, STEVE! WO BIST DU? HÖRST DU MICH? ICH WEISS
    NICHT, WO DU BIST. KOMM DOCH ZU MIR!«
    Selbst wenn Steve vorhatte, mir aus dem Weg zu gehen, würde er bestimmt nicht wollen, dass ich seinen Namen durch den Wald krakeelte.
    Niemand konnte schließlich wissen, wie weit meine Stimme zu hören war.
    Oder wer mir zuhörte.
    Gut möglich, dass wir beide nicht die einzigen Menschen in Hörweite waren. Vielleicht gab es ja einen Wanderer, der im Wald übernachtete, vielleicht knutschte irgendwo ein Liebespaar oder jemand ging mit seinem Hund spazieren. Von Landstreichern, Pennern oder Kriminellen, die sich vor der Polizei versteckten oder im Wald nach Opfern suchten, ganz zu schweigen.
    Niemand konnte wissen, wer sich nachts so alles in Miller’s Woods aufhielt. Ich nicht und Steve auch nicht.
    »WO BIST DU STEVE?«, rief ich, so laut ich konnte. »TRAU DICH

    BLOSS NICHT, MICH HIER ALLEIN ZU LASSEN! WENN DIE POLIZEI MICH FINDET, ERZÄHLE ICH IHR ALLES, WAS ICH WEISS. FÜR DICH
    GEHE ICH NICHT IN DEN KNAST, STEVE! DU HAST IHN UMGEBRACHT, NICHT ICH. DAS WERDE ICH DER POLIZEI ERZÄHLEN!«
    Nach diesem Wortschwall war ich eine Weile still und lauschte in den Wald, hörte aber nichts als die üblichen Geräusche einer

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