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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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zu.«
    »Glauben Sie mir: alle.«
    »Nein, nicht zu hundert Prozent.«
    »Zu neunzig Prozent?«, fragte ich.
    »Eher neunundneunzig«, erwiderte Judy.
    Da musste ich einfach lachen.
    »Wissen Sie was?«, fügte sie plötzlich hinzu, »wenn wir Tony finden, überfahr ich ihn.«
    »Okay!«

    In den Wald
    Tony überfahren? Das sagte sie natürlich nur im Scherz. Schließlich war sie nicht losgefahren, um ihn zu töten, sondern um ihn zu retten.
    Was von meinem Standpunkt aus betrachtet eigentlich schlimmer war.
    Hätte sie ihn ernsthaft umbringen wollen, hätte ich mir vielleicht noch einmal überlegt, ob ich sie töten sollte oder nicht.
    Eigentlich verhielt es sich ja so: Ganz gleich, wie gern ich Judy hatte (und ich hatte sie ziemlich gern), ganz gleich, wie sehr sie Tony verachtete (ehrlich gesagt, ich glaube, sie liebte ihn noch immer, trotz allem), ganz gleich, WAS AUCH IMMER, sie musste sterben.
    Oder nicht?
    Denn so lange sie am Leben war, konnte sie mich verraten. Ich möchte nicht sagen, dass sie das tun würde. Aber sie könnte es. Und was wäre dann mit mir?
    Ich würde bis zum Hals in der Scheiße stecken.
    Wenn ich sie tötete, wäre ich aus dem Schneider.
    Gut, nicht ganz. Da war immer noch dass kleine Problem mit der Wahlwiederholung an Tonys Telefon. Falls es überhaupt eine hatte.
    Ich wusste nicht einmal, wo sich das Telefon befand. In Tonys geheimnisumwitterter Wohnung, das war mir schon klar. Aber wo befand sich die?
    Und was würde die Polizei über die Wahlwiederholung überhaupt erfahren? Lediglich, dass Tonys letzter Anruf auf Serenas und Charlies Telefon gelandet war.
    Das bedeutete noch lange nicht, dass jemand dort abgehoben hatte.
    Serena und Charlie waren verreist, und ich hatte das Telefon nicht hören können, weil ich meine Wohnung über der Garage nie verlassen hatte.
    Dabei gab es nur ein Problem: Aus den Daten der Telefongesellschaft würde hervorgehen, dass mehrere Minuten lang eine Verbindung zwischen den beiden Nummern bestanden hatte.
    Und daraus würde die Polizei schließen, dass entweder ein Gespräch geführt oder eine Botschaft auf einem Anrufbeantworter hinterlassen wurde.
    In mir krampfte sich alles zusammen.
    Die Polizei würde die Nachricht auf dem Anrufbeantworter hören wollen.
    Aber das durfte ich nicht zulassen.
    Ein kleiner Knopf an einem Telefon konnte meinen Untergang bedeuten, wenn es mir nicht gelang, Tonys neue Wohnung zu finden.
    »Wir müssten doch eigentlich gleich da sein«, sagte Judy.
    Einen Augenblick lang wusste ich nicht, wovon sie überhaupt sprach, aber dann sah ich den Wald beiderseits der Straße.
    »Stimmt«, erwiderte ich. »Gleich müssen Sie nach rechts abbiegen, wo es zum Shady Creek Picknickplatz geht.«
    »Hoffentlich geht es ihm gut.«
    »Aber nicht zu gut, oder?«
    »Mittelgut, würde ich mal sagen. Es darf ihm ruhig etwas wehtun, aber er soll keine bleibenden Schäden haben.«
    »Sie sind wirklich fürsorglich, Judy.«
    »Wenn er nur da ist. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er schon auf dem Nachhauseweg ist und wir ihn auf der Straße treffen.«
    »Vergessen Sie nicht, dass er nackt ist. Wenn er unterwegs ist, versteckt er sich bestimmt, sobald er einen Wagen kommen sieht.«
    »Das stimmt! Dann sind wir vielleicht schon an ihm vorbeigefahren.«
    »Außerdem muss er nicht unbedingt an der Straße entlanggehen«, sagte ich. »Gut möglich, dass er sich einen Weg quer durch den Wald sucht.« Im Licht der Scheinwerfer tauchte ein Wegweiser zum Picknickplatz auf.
    Judy setzte den Blinker und bremste ab.
    »Dort werden wir ihn bestimmt finden«, sagte ich.
    »Glauben Sie denn, dass er immer noch bewusstlos ist?«, fragte Judy.
    »Nein. Vermutlich dürfte er inzwischen wieder bei Besinnung sein. Aber wenn ich Tony wäre und splitternackt neben einem Picknicktisch aufwachen würde, bliebe ich vermutlich erst einmal da, weil mich im dunklen Wald niemand sieht.«
    »Aber irgendwann einmal müssten Sie ja doch nach Hause«, argumentierte Judy.
    Bei diesen Worten musste ich unwillkürlich an den Mann im Pool denken. Vielleicht war der ja jemand, der nicht nach Hause gegangen war.
    »Wieso? Ich könnte doch im Wald leben wie Tarzan.«
    »Stimmt«, sagte Judy und lachte. »Ich stelle mir gerade Tony vor, wie er sich von Ast zu Ast schwingt.«
    »Greif die Liane, Jane, nein, die andere!«
    Judy lachte schallend und schüttelte den Kopf. »Aua!«
    »Woher wissen Sie, dass das wehtut?«
    »Weil es einfach wehtun muss.«
    »Da haben Sie vermutlich

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