Nacht
Orte normalerweise, und speziell über Miller’s Woods erzählte man sich einige schlimme Geschichten.
Hinzu kam, dass ich mir immer noch Gedanken über den Fremden machte, der nach seinem Bad in unserem Pool wieder im Wald verschwunden war. Serenas und Charlies Haus lag höchstens eine Meile Luftlinie von diesem Picknickplatz entfernt.
Ein weiterer Grund für meine schlechte Verfassung war, dass ich jetzt Judy töten musste. Das war fürchterlich, aber es ließ sich einfach nicht vermeiden. Und das hier war der ideale Ort dafür.
Stockfinster, abgelegen und so nahe an zu Hause, dass ich die Strecke gut zu Fuß schaffen konnte, wenn ich quer durch den Wald ging.
Wir schlossen leise die Türen des Wagens, und die Innenbeleuchtung ging wieder aus. Vor lauter Angst, es könnte uns jemand hören, wagten wir es nicht zu sprechen.
Nebeneinander stiegen wir die sanfte Steigung zu den Picknicktischen hinauf, die wir in der Dunkelheit nur als vage, unwirklich erscheinende Formen erkennen konnten.
Nur an wenigen Stellen drang das Mondlicht durch das dichte Blätterdach der Bäume. Zwischen den Stämmen wehte ein leichter, warmer Wind, der sich vielleicht angenehm angefühlt hätte, wenn ich in einer anderen Stimmung gewesen wäre, aber in meiner Verzweiflung gab es nichts, was angenehm war. Für den Augenblick kam es mir so vor, als wäre alles Angenehme vom Erdboden getilgt.
An den Picknicktischen vorbei stiegen wir hinauf zum Kamm des kleinen Hügels. Dort blieben wir stehen und sahen hinunter zum Bach, auf dessen Wasser das Mondlicht glitzerte. Daneben erkannte ich einen länglichen Gegenstand, der aussah wie ein weiterer Picknicktisch, aber in der Dunkelheit war ich mir nicht sicher.
»Irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl«, flüsterte Judy.
Ist sie Hellseherin?
»Was ist denn das für ein Gefühl?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich nicht hören wollte.
»Dass es uns noch einmal leidtun wird, wenn wir jetzt da hinuntergehen.«
»Sie müssen da nicht hinunter.«
»Doch, ich muss.«
Wie mutig und unschuldig diese Judy doch war!
Judy muss sterben
Sobald wir den Kamm des Hügels überschritten hatten und die Böschung wieder hinunterstiegen, griff ich in die Tasche meiner Jeans und entsicherte die Pistole mit dem Daumen.
»Tony?«, rief Judy leise. »Bist du hier?«
Ich zog die Waffe heraus, hielt sie aber hinter meinem Rücken verborgen.
»Tony?«, wiederholte sie, diesmal etwas lauter. »Ich bin’s, Judy.
Bist du irgendwo da unten?«
Ich wollte nicht, dass Judy sah, was auf sie zukam. Deshalb ließ ich mich einen Schritt zurückfallen, hob die Pistole an ihren Kopf und feuerte einen Schuss auf ihre Schläfe ab.
Das hätte eigentlich reichen müssen.
Aber leider hatte ich beim Heben der Waffe ihr Ohr gestreift.
Im Dunkeln hatte ich die Entfernung falsch eingeschätzt.
Kurz bevor der Schuss losging, hörte ich ein erstauntes »Aua!«, und im grellen Blitz des Mündungsfeuers sah ich, dass sie den Kopf zur Seite gedreht hatte.
Ich wusste nicht, ob ich sie erwischt hatte.
Judy schrie laut auf, griff über dem Ohr an ihren Kopf und sank zu Boden.
Ich zielte auf ihre dunkle Gestalt, die vor meinen Füßen lag, schoss aber kein zweites Mal.
Zum einen wollte ich keinen Lärm machen. Wenn Sie glauben, dass eine 22er nur leise »Plopp« macht wie eine Spielzeugpistole, haben Sie sich getäuscht. Sie ist mindestens so laut wie ein dicker Silvesterknaller. Meine Ohren klingelten von dem Schuss. Wäre ich jetzt in meinem Zimmer über Serenas Garage gewesen, hätte ich ihn mit Sicherheit gehört.
Und der Mann, der in unserem Pool gebadet hatte, bestimmt auch, falls er noch immer im Wald war.
Das war der zweite Grund, aus dem ich Judy nicht noch ein paar Kugeln verpasste. Je weniger Munition ich verbrauchte, desto mehr hatte ich übrig, wenn er mir auf dem Rückweg begegnete.
Er, oder irgendein anderer Perversling.
(Was war zum Beispiel mit den Typen aus dem Cadillac? Waren sie wirklich weitergefahren?)
Als Judy langsam die Böschung hinunterrollte, sicherte ich die Pistole und lief ihr hinterher. Sie kullerte bis ganz nach unten, wobei Arme und Beine unkontrolliert hin und her schlugen. Am Fuß der Böschung blieb sie an einer mondbeschienenen Stelle liegen.
An ihrer weißen Bluse waren alle Knöpfe abgerissen, sodass sie mit nacktem Oberkörper und bis an die Hüften hochgerutschtem Rock vor mir lag.
Wäre da nicht das weiße Stückchen Stoff zwischen ihren Beinen zu sehen
Weitere Kostenlose Bücher