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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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diesem Feuer sein!
    In sicherer Entfernung von dem Feuer ging ich auf alle viere und krabbelte vorsichtig an den Rand einer kleinen Lichtung heran.
    Und dann sah ich es.
    Ich sah ein Zelt, ein Lagerfeuer und Judy. <,
    Das grüne Zelt stand ein paar Meter rechts von dem munter prasselnden Feuer, dessen flackernder Schein auf Judy fiel.

    Obwohl außer ihr niemand zu sehen war, musste das Zelt irgendjemandem gehören, der das Feuer angezündet und Judy hergebracht hatte.
    Sie stand unter einem Baum und ihre Hände waren über ihrem Kopf gefesselt. Der Strick war um einen dicken Ast hoch über ihr geschlungen. Ich konnte das andere Ende des Seils nicht sehen, aber es musste irgendwo an dem Baum befestigt sein. Judys Arme waren so straff nach oben gezogen, dass ihre Rippen gut sichtbar hervortraten und ihre Brüste und ihr Bauch ganz flach aussahen.
    Zuerst dachte ich, sie würde von dem Ast herabhängen, aber das stimmte nicht, denn sie stand mit beiden Füßen auf der Erde. Ihre Beine waren nicht gefesselt.
    Vorhin, auf dem Picknicktisch, hatte sie noch Schuhe und Socken, sowie Rock und Bluse angehabt – wenn auch hochgeschoben und aufgeknöpft –, jetzt aber war sie splitternackt bis auf einen Hut auf ihrem Kopf und einem Knebel in ihrem Mund.
    Der Hut war ein alte Filzhut, den ihr jemand tief in die Stirn gezogen hatte. Die Krempe wurde seitlich von ihren stramm nach oben gezogenen Armen an ihren Kopf gedrückt. Ich vermutete, dass der Hut dem Mann gehörte, der sie hierhergebracht hatte. Vielleicht hatte er ihn ihr aufgesetzt, um einen Verband um ihre Schusswunde zu fixieren, aber es konnte natürlich auch sein, dass es ihn erregte, wenn sie einen Hut trug. Irgendwie sah sie damit aus wie eine Schönheit vom Lande, die jemand gefesselt und gefoltert hatte, um herauszufinden, wo ihre Eltern schwarz Schnaps brannten.
    Nicht, dass sie mit dem Knebel, den ihr Peiniger ihr um den Mund gebunden hatte, viele Geheimnisse hätte verraten können. Er bestand aus einem von diesen roten Halstüchern, die man sonst nur an der Stirn von Willie Nelson oder an den Hälsen von Ach‐Gott‐wie‐niedlichen Hundchen findet.
    An solchen Knebeln sollen schon Menschen erstickt sein, aber Judy war mit Sicherheit noch am Leben, denn ich konnte an den regelmäßigen Bewegungen ihres Brustkorbs genau erkennen, wie sie Luft holte. Wahrscheinlich atmete sie durch die Nase.
    Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, war sie bestimmt nicht bewusstlos, sonst hätte sie den Kopf nicht aufrecht halten können.
    Wahrscheinlich ruhte sie sich nur aus.
    Schließlich hatte sie eine verdammt harte Nacht hinter sich, was hauptsächlich meine Schuld war. Eigentlich war es sogar ausschließlich meine Schuld, denn ich hatte sie in dieses ganze Schlamassel mit hineingezogen.
    Da sieht man mal, wozu es führen kann, wenn man sich in der Adresse irrt.
    Dazu, dass jemand angeschossen und mit einem Ast halb tot geprügelt wird. Aus meinem Versteck heraus konnte ich deutlich die Abschürfungen, blauen Flecken und Prellungen an Judys Körper sehen, von denen die meisten auf mein Konto gingen.
    Vielleicht sogar alle.
    Und als sie dann halb tot auf dem Picknicktisch gelegen hatte, musste sie irgendein Perversling geschnappt, hierhergeschleift und ausgezogen haben, bevor er ihr diesen albernen Hut aufgesetzt und sie dann gefesselt und geknebelt an den Ast gebunden hatte. Ob er ihr auch wehgetan hatte, wusste ich nicht.
    Aber warum hat sie dann geschrien?
    Vielleicht, weil er sie vergewaltigt hatte. Bestimmt hatte er sie vergewaltigt, denn man zieht eine Frau nicht aus und hängt sie nackt an einen Baum, wenn man sie nicht vergewaltigen will. Das wäre wider jede Logik.
    Ansehen konnte man es Judy nicht.
    Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ich hoffte inständig, dass er es nicht getan hatte.
    Judy hatte eine derartige Behandlung nicht verdient. Sie war eine schöne, tolle, liebe Frau, und ich mochte sie sehr. Nie hatte ich sie als Feindin angesehen, sondern immer nur als Problem.
    Sie hätte gegen mich aussagen können.
    Nur deshalb musste sie sterben.

    Aber nicht so!
    Das hatte ich nicht gewollt.
    Trotzdem war mir irgendwie auch klar, dass es eigentlich nicht besser hätte kommen können. Ich musste sie jetzt nicht mehr umbringen, und deshalb konnte ich auch niemals dafür belangt werden. Entweder musste ihr Peiniger dafür büßen oder überhaupt niemand. Und wenn die Polizei diesen Bastard schnappte, dann würde sie höchstwahrscheinlich auch davon

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