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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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denen ich den Mann erschossen hätte.
    Man erschießt nicht seinen eigenen Sündenbock.
    Also blieben noch drei Möglichkeiten zur Auswahl. Sollte ich Judy umbringen, sie retten oder nach Hause gehen?
    Wenn ich einfach wegging, überließ ich dem Typ seine Gefangene, die er dann nach Belieben quälen, vergewaltigen und schließlich töten konnte. Im Grunde genommen konnte mir gar nichts Besseres passieren, aber trotzdem war mir die Vorstellung zuwider. Er hatte kein Recht auf Judy. Sie gehörte mir, nicht ihm.
    Natürlich war das kein besonders stichhaltiges Argument.
    Bei dieser Sache ging es schließlich um mein Überleben. Wenn der Typ Judy umbrachte, wäre ich frei. Es wäre vollkommen idiotisch, ihn wegen einer absurden Gefühlsduselei daran zu hindern.
    Aber dann kam mir ein sehr viel besseres Argument in den Sinn.
    Was wäre, wenn er sie am Leben ließe?
    Vielleicht brachte er es nicht fertig, sie umzubringen. Oder sie schaffte es, ihm zu entkommen. Es konnte auch jemand vorbeikommen und ihn erschrecken oder festnehmen oder … wer weiß? Es gab viele Unwägbarkeiten. Schließlich war ich selber einmal aus einer noch viel aussichtsloseren Situation entkommen.

    Wenn ich das geschafft hatte, konnte Judy es auch schaffen. Sie war vielleicht nicht so robust wie ich, aber wahrscheinlich war sie schlauer.
    Ich konnte mich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass der Typ im Zelt sie kaltmachte. Das gab mir die Begründung, nach der ich gesucht hatte: Die Option, nach Hause zu gehen, wurde verworfen.
    Also stand ich vor der Entscheidung: Judy töten oder Judy retten?
    Sie musste getötet werden. Und zwar leise, mit einem Stein. Aber sollte ich es hier tun? Oder sollte ich sie befreien und es woanders tun?
    Wenn ich es hier tat, bliebe dem Typen ihre Leiche. Das gefiel mir zwar auch nicht, aber die Idee, dass man ihn mit der Leiche schnappen könnte, gefiel mir dafür umso besser.
    Andererseits, wenn ich sie erst mal »rettete«, konnten wir vielleicht eine Stelle finden, wo wir ungestört waren.
    Dieser Gedanke behagte mir sehr, aber er hatte auch den Haken, dass Judy mir entwischen könnte.
    Und das würde garantiert nicht passieren, wenn ich jetzt einfach dort hinüberging und ihr den Schädel einschlug, solange sie noch an diesem Baum hing.
    Schwierige Sache.
    Ich konnte mich einfach nicht entscheiden.
    Irgendwann beschloss ich, überhaupt keine Entscheidung zu treffen. Ich würde sie dem Zufall überlassen.
    Judy stand noch immer mit hängendem Kopf unter dem Baum, aber weil das Lagerfeuer inzwischen heruntergebrannt war, schimmerte ihre Haut nicht mehr so hell, und ihre Umrisse waren nur noch undeutlich zu erkennen.
    Wenn ich noch länger wartete, war das Licht ganz weg, und ich hätte den Schutz der Dunkelheit.
    Andererseits ging die Nacht allmählich ihrem Ende entgegen.
    Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, aber ich schätzte, es war nach drei Uhr früh. Vielleicht sogar nach vier. Allzu lange konnte ich nicht mehr warten.
    Ich richtete mich vorsichtig auf. Mein Körper war verspannt und schmerzte, aber ich verkniff mir ein Stöhnen und setzte mich lautlos in Bewegung. Mit der Pistole in der Rechten entfernte ich mich langsam von der Lichtung, umrundete sie im Schutz der Bäume und trat schließlich hinter Judy aus dem Wald.
    Das Feuer war jetzt so weit heruntergebrannt, dass die an ihrem Ast hängende Judy kaum mehr als ein schwarzer Umriss war, ein Schattenriss vor dem schwach glühenden Feuer.
    Von dem Mann, der sie dort angebunden hatte, fehlte noch immer jede Spur.
    Von hier aus konnte ich auch den Eingang des Zelts sehen.
    Die Klappe war zu. Ich war mir noch immer sicher, dass Judys Peiniger drinnen lag und schlief.
    Einen Augenblick lang betrachtete ich reglos die Szene, bevor ich mich langsam wieder in Bewegung setzte. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten näherte ich mich Judy und versuchte, kein Geräusch zu machen, was gar nicht so einfach war, denn der Boden war mit trockenen Blättern und Zweigen bedeckt. Die Blätter raschelten unter den Sohlen meiner Schuhe wie knisterndes Papier, kleine Zweige knackten leise wie Zahnstocher und größere wie zerbrechende Bleistifte.
    Die ganze Zeit über behielt ich Judy im Blick. Sie bewegte sich nicht, reagierte in keiner Weise auf die Geräusche.
    Als ich nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt war, fiel mir ein, dass ich noch einen Stein brauchte.
    Ich hielt inne, ging in die Hocke und tastete mit der freien Hand den Boden ab. Dabei fand ich Laub,

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