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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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hineingezogen worden. Ich hatte sie angeschossen und halb tot geschlagen, und dann war sie von Milo vergewaltigt worden und hatte mir dadurch, dass sie ihn getreten hatte, höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. War es da nicht verständlich, dass sie mich mit ihrem Versprechen, mich nicht zu verraten, von meinem ursprünglichen Entschluss abgebracht hatte?
    Vielleicht gab es aber auch noch andere Gründe dafür, dass sie noch am Leben war.
    Wer kann schon sagen, warum etwas wirklich passiert?
    Ich kann das jedenfalls nicht.
    Aber ich interessiere mich dafür, und ich suche ständig nach Antworten, aber diese Antworten sind nicht immer einleuchtend, und irgendwann bekomme ich dann regelmäßig das Gefühl, dass irgendwelche geheimnisvollen Kräfte am Werk sind. Die Gene, zum Beispiel. Oder das Schicksal. Oder Gott. Oder irgendwelche Gremlins.
    Vielleicht hängt unser Handeln auch von ganz anderen Dingen ab, die man niemals zugibt, nicht einmal sich selbst gegenüber.
    Vielleicht, so denke ich manchmal, sollen wir die wirklichen Gründe für unser Handeln gar nicht erfahren.
    Kann sein, dass die Wahrheit irgendwo »da draußen« ist, wie es in einer Fernsehsendung so schön heißt, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir sie auch herausfinden.
    Mir blieb jedenfalls auf meinem Weg durch den finsteren Wald nur eine Gewissheit: Dass ich Judy nicht umgebracht hatte und dass sie mich deshalb jetzt in der Hand hatte.
    Ich fühlte mich wie ein Feigling. Ein Waschlappen. Ein Weichei.
    Aber andererseits war es irgendwie auch ein gutes Gefühl, zu wissen, dass Judy noch lebte und dass ich der Grund dafür war.
    In ein paar Stunden war sie vielleicht schon wieder in ihrer Wohnung.
    Selbst wenn sie sich nicht von dem Strick befreien konnte, würde irgendjemand sie früher oder später finden.
    Warum bist du dir da so sicher?
    Obwohl ich mich in Millers Woods relativ gut auskannte (zumindest bei Tageslicht), war ich mir nicht sicher, wo sich die Lichtung mit dem Zelt genau befand. Es war gut möglich, dass sie in einem abgelegenen Teil des Waldes lag, weit weg von allen Wanderwegen. Wer so etwas vorhat wie Milo, der sucht sich dafür normalerweise einen Ort, an dem er nicht ständig von irgendwelchen Naturliebhabern gestört wird.
    Wäre Milo nicht davon überzeugt gewesen, dass sein Lager weitab vom Schuss liegt, hätte er bestimmt kein Feuer angezündet und Judy an ihrem Ast hängen lassen, während er seelenruhig in seinem Zelt ein Nickerchen machte.
    Das zeugte von echter Zuversicht.
    Oder von grenzenloser Dummheit.
    Übrigens musste er auch felsenfest davon überzeugt gewesen sein, dass Judy den Knoten, mit dem er ihre Hände an den Strick gebunden hatte, nicht würde lösen können.
    Was ist eigentlich, wenn sie sich nicht befreien kann und niemand sie findet?
    Umso besser, sagte ich mir. Wenn sie auf diese Weise stirbt, bin ich nicht dafür verantwortlich. Schließlich war es Milo, der sie an den Baum gebunden hatte, nicht ich. Und wenn sie tot war, konnte sie nicht mehr gegen mich aussagen, ganz gleich, ob ich sie nun auf dem Gewissen hatte oder er.
    Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie starb.
    Ein paar Tage?
    Bis dahin musste sie jemand gefunden haben. Wenn sie sich nicht doch selbst von dem Strick befreite.
    Ich könnte ja zurückgehen und sie retten.
    In deinem Zustand? Du kannst ja froh sein, wenn du es bis nach Hause schaffst.
    Ich fühlte mich absolut nicht in der Lage, jetzt umzukehren und nach dem Lagerplatz zu suchen.
    Vielleicht morgen. Ruh dich aus und suche ihn bei Tageslicht.
    Aber da gab es einige Gründe, weshalb mir das nicht so ratsam schien:

    1. Warum sollte ich?
    2. Ich würde den Lagerplatz vermutlich sowieso nicht wiederfinden, selbst wenn ich mir Mühe gab.
    3. Und wenn ich ihn fand, wartete dort vielleicht die Polizei auf mich.

    Kann sein, dass ich eine sentimentale Kuh bin, aber verrückt bin ich deshalb noch lange nicht.
    Mindestens eine Stunde lang lief ich ziemlich ziellos durch den Wald, bis ich endlich an eine Stelle kam, wo ich mich wieder auskannte. Leider war es nicht der Teil des Waldes, der bis an Serenas und Charlies Haus reichte (darauf hatte ich insgeheim gehofft), sondern nur der Bach, an dem ich vorhin schon gewesen war.
    Trotzdem war ich froh, dass ich auf ihn gestoßen war.
    Ich stieg hinein, schaffte es – ohne hinzufallen! – bis in die Mitte, wo ich mich hinsetzte und das kalte Wasser über meinen Körper strömen ließ. Es fühlte sich einfach

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