Nacht
wieder durch die Schlaufen der Jeans.
»Warum sollte ich dir glauben, Judy?«
Sie gab keine Antwort.
Ich zog die Shorts an und schnallte den Gürtel zu. Dann warf ich einen Blick auf das Messer, das auf dem Boden lag.
Ich wusste, dass ich sie besser kaltmachen sollte, aber ich hatte ihr schließlich versprochen, es nicht zu tun. Außerdem sah sie so …
zerbrechlich aus, wie sie da blutend im Feuerschein hing.
Zerbrechlich und schön. Und sie hatte dieses blöde kleine Halstuch um den Hals.
Ich wette, Sie hätten es auch nicht übers Herz gebracht, sie zu töten.
»Verpfeif mich besser nicht«, sagte ich. »Wenn die Bullen je nach mir suchen kommen, verspreche ich dir eines: Ich erwische dich. Ich erwische dich garantiert. Und wenn ich dann mit dir fertig bin, wirst du dich nach Milo zurücksehnen. Das verspreche ich dir.«
Sie nickte.
»Halt durch, Kleine«, sagte ich. Und dann drehte ich mich um und machte mich auf den Weg.
Der Weg aus dem Wald
Wenn man bis über beide Ohren im Schlamassel steckt, darf man nicht sentimental sein.
Ich weiß.
Und mir ist klar, dass ich Judy niemals lebend in diesem Wald hätte zurücklassen dürfen, aber so bin ich nun mal. Mein Gefühl ist manchmal stärker als mein Verstand.
Irgendwie war Judy mir ans Herz gewachsen. Das war das Problem. Jemanden umzubringen, den man mag, ist nun mal nicht so einfach. Sollten Sie jemals in eine solche Situation geraten, werden Sie das selbst feststellen.
Wie ich bereits erwähnte, ist es natürlich das Beste, wenn man überhaupt niemanden umbringt. Was habe ich bloß für Scherereien gehabt, weil ich Tony im Übereifer den Schädel gespalten habe.
Sie wissen ja, was für einen Rattenschwanz von Problemen das nach sich gezogen hat, und dabei war es ein Unfall. Und bis jetzt habe ich noch nicht einmal die Hälfte dieses Buches geschrieben, es kommt also noch einiges auf Sie zu.
Da spaltet man einem armen Tropf aus Versehen den Schädel, und hat man nichts als Probleme. Lassen Sie es also besser bleiben.
Jedenfalls ließ ich Judy an ihrem Ast hängen, blutig gepeitscht, aber lebendig, und verließ die Lichtung, ohne mich noch einmal nach ihr umzusehen.
Jetzt, als meine Augen an das mehr oder weniger helle Licht des Feuers gewöhnt waren, kam mir der Wald gleich doppelt so finster vor. Ich hielt beide Hände weit von mir gestreckt, weil ich nicht wieder in einen abgebrochenen Ast oder gegen einen Baum laufen wollte. Es dauerte nicht lange, bis ich die Orientierung verlor und keine Ahnung mehr hatte, wo ich war.
Alles, was ich wusste, war, dass ich irgendwo in Miller’s Woods herumirrte.
Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf, noch vor Sonnenaufgang nach Hause zu kommen.
Je länger ich durch den Wald tappte, desto mehr gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Bald konnte ich in der Finsternis wieder undeutliche Umrisse wahrnehmen.
Den ganzen Weg über musste ich daran denken, wie dumm es gewesen war, Judy am Leben zu lassen. Hätte ich sie getötet, dann hätte mich die Polizei niemals mit irgendeiner Leiche in Verbindung bringen können.
So, wie die Dinge jetzt standen, hatte Judy mich in der Hand.
Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich verpfeifen würde. Was hinderte sie schon daran?
Dass ich sie aus der Gewalt von Milo befreit hatte?
Dass ich sie am Leben gelassen hatte?
Okay, ich habe ihr wehgetan, aber ich habe sie nicht umgebracht.
So gesehen hatte ich ihr sogar zweimal das Leben gerettet.
Sie stand tatsächlich in meiner Schuld, aber vermutlich würde sie das nicht daran hindern, mich bei der Polizei zu verpfeifen. Sie haben vielleicht bemerkt, dass sie ein echter Gutmensch ist. Eine Pfadfinderin, die jeden Tag eine gute Tat tun muss. Sie konnte zwar jemanden anlügen, der ihr nach dem Leben trachtet, aber bei den Behörden war das vermutlich eine ganz andere Geschichte.
Sie verrät mich. Garantiert.
Das war nun wirklich keine neue Erkenntnis. Ich hatte es die ganze Zeit über gewusst. Da mochte sie noch so oft im Brustton der Überzeugung verkünden, dass sie mich aus der ganzen Sache heraushalten wollte, ich hatte ihr nie abgenommen, dass sie die Polizei derartig belügen würde.
Kann ja sein, dass sie selbst dran geglaubt hat.
Oder vielleicht hatte sie das alles nur gesagt, um ihre eigene Haut zu retten. Keine Ahnung. Vielleicht war es auch eine Kombination aus beidem.
Irgendwie hatte ich ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Nur durch meinen Fehler war sie in diese Geschichte mit
Weitere Kostenlose Bücher