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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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ich das Badezimmer, wo ich den Kimono an einen Haken hängte und den Säbel und die Tüte vor der eingelassenen Badewanne auf den Boden legte.
    Ich bin nicht paranoid, aber ich wollte mich sicher fühlen. Und wozu hat man eine Waffe, wenn sie außer Reichweite ist?
    Während die Wanne einlief, ging ich auf die Toilette. Dann stellte ich mich vor den großen Spiegel und schaute mich an.
    Ich sah echt katastrophal aus.
    Meine Haare klebten am Schädel, als hätte ich sie einen Monat nicht mehr gewaschen, und meine Haut glänzte wie eingeölt. Über den ganzen Körper verteilt hatte ich vielleicht zwei Dutzend oberflächliche Schrammen, von denen einige ein wenig geblutet hatten. Mein Bad im Bach hatte das meiste Blut abgewaschen, aber ein paar Kratzer hatten sich offenbar entzündet und sahen wie dicke, rote Kordeln aus. Außerdem hatte ich noch ein paar blaue Flecken abbekommen.
    Am schlimmsten hatte es meinen Bauch erwischt, wo ich in den abgebrochenen Ast gerannt war. Hier sah ich eine hässliche, halb offene Wunde und einen Bluterguss, so groß wie eine Grapefruit.
    Die Wunde tat ziemlich weh, aber zum Arzt musste man deswegen wohl nicht.
    Eigentlich war ich ziemlich glimpflich davongekommen.
    Besonders, wenn man es mit den anderen vergleicht. Mit Tony, Milo, und der namenlosen, halb aufgefressenen Frau im Zelt. Und mit Judy.

    Drei von den vieren brauchten keinen Arzt mehr, sondern einen Bestatter.
    Ich fragte mich, wie es Judy jetzt wohl ging.
    Wahrscheinlich hing sie immer noch an dem Baum. Die Knoten an ihren Handgelenken hatten so professionell ausgesehen, dass sie sich aus eigener Kraft vermutlich nicht daraus befreien konnte.
    Ich hob die Arme, kreuzte die Handgelenke und betrachtete mich im Spiegel. So hatte Judy an dem Baum gehangen, und so hing sie vermutlich immer noch da. In dieser Haltung waren meine Brüste ganz flach, und ich hatte überhaupt keinen Bauch. Mein ohnehin schon recht ansehnlicher Körper sah so noch viel toller aus.
    Dieser Trick funktioniert wahrscheinlich bei jeder Frau.
    Vielleicht hängen die Typen ihre Opfer auch deshalb gerne an den Handgelenken auf.
    Nein. Das war höchstens ein angenehmer Nebeneffekt, aber bestimmt nicht der Hauptgrund. Ich hatte genügend Zeit mit Judy verbracht, um zu erkennen, was der wahre Grund war. Klar sah sie so gestrafft super aus, aber viel entscheidender war, dass sie völlig wehrlos vor einem hing. Erreichbar. Ausgeliefert. Und gut sichtbar von allen Seiten.
    Eine Frau, die so vor einem hing, hatte man vollkommen in seiner Gewalt.
    Man konnte sie schaukeln, man konnte sie drehen. Man konnte um sie herumgehen und sie intensiv betrachten. Man konnte ihre Beine spreizen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Man konnte sie überall anfassen. Und man konnte ihr überall wehtun.
    Während ich so in den Spiegel schaute, wünschte ich mir, ich hätte Judy wieder vor mir hängen.

    Plitsch‐Platsch
    Langsam ließ ich mich in die voll eingelassene Wanne gleiten. Ein paar meiner Schürfwunden brannten dabei wie Feuer, aber zum Glück hörten die schlimmsten Schmerzen nach ein paar Sekunden wieder auf. Ich drehte die Hähne zu, legte den Kopf auf das hintere Ende der Wanne und spürte, wie meine Gesäßbacken ganz leicht die Kacheln am Boden berührten. Ansonsten schwebte mein Körper völlig frei im Wasser. Seine wohlige Wärme hüllte mich ein, liebkoste mich zärtlich und drang in sämtliche Falten und Öffnungen meines Körpers.
    Es war unglaublich sinnlich.
    Himmlisch.
    Nach so vielen schlimmen Stunden voller Angst, Schmerzen und Knochenarbeit war ich endlich an einem Ort der Ruhe und des Friedens. Ich ließ die Arme ein paar Zentimeter unter der Oberfläche schlaff und schwerelos im Wasser schweben und hatte das Gefühl, als wären meine leicht gespreizten und in den Knien angewinkelten Beine in hauchzarten Seidentüchern aufgehängt. Die einzigen Geräusche waren das sanfte melodische Plätschern des Wassers und das gedämpfte Pochen meines Herzens. Wenn ich beim Atmen den Brustkorb bewegte, spürte ich, wie eine warme Strömung zart um meine Brüste spielte.
    Eigentlich hätte ich mich aufsetzen, abseifen und mir die Haare waschen sollen, aber ich wollte diesen faulen, luxuriösen Schwebezustand im köstlich warmen Wasser einfach noch ein wenig ausdehnen.
    Nach einer Weile machten sich meine Gedanken selbstständig und flogen zurück in den Wald. Ich ließ ihnen freien Lauf, aber als vor meinem geistigen Auge das rötliche Glühen des Lagerfeuers

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