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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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auftauchte, konzentrierte ich mich darauf.

    Ich sah Judy, die wie zuvor an ihrem Ast hing. Ihre Haut glänzte im Schein des herunterbrennenden Feuers dunkelrot, und um den Hals trug sie noch immer Milos schlaffes Halstuch, aber ihre Verletzungen waren alle verschwunden.
    Wie wunderschön sie aussah!
    Als ich auf sie zutrat, sagte sie: »Ich wusste, dass du zurückkommst, Alice.«
    »Dann wusstest du mehr als ich.«
    »Ich wusste immer mehr als du«, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
    »Und ich wusste nicht einmal, wie ich diesen Lagerplatz wiederfinden sollte.«
    »Wie hast du ihn denn gefunden?«
    »Durch Zufall. Heute ist mein Glückstag.«
    »Meiner auch«, sagte Judy.
    »Wieso das?«
    »Weil du zu mir zurückgekommen bist.«
    »Ich konnte dich doch nicht einfach hier draußen im Wald lassen.«
    »Wie sentimental du bist!«
    »Ich kann’s nicht ändern.«
    »Dann gib mir einen Kuss.«
    Als ich das hörte, erschrak ich und war gleichzeitig erregt. Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Danke für das Angebot, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich …«
    »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte sie.
    »Ich habe keine Angst vor dir.«
    »Du liebst mich, nicht wahr?«
    »Nein!«
    »Du bist zu mir zurückgekommen, weil du mich liebst.«
    »Nein, deshalb nicht.«
    »Weshalb denn dann?«
    »Weil es einfach nicht richtig ist, dich hier draußen zu lassen. Und weil ich nicht will, dass du auf diese Weise stirbst. Das würde ich mir nie verzeihen. Du hast mir nichts Böses getan. Und wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre Milo über mich hergefallen.«
    »Du liebst mich also doch.«
    »Hör auf, das zu sagen.«
    »Ich höre erst auf, wenn du mir einen Kuss gibst.«
    »Aber ich will dir keinen Kuss geben.«
    »Doch, das willst du.« Sie befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen. »Hab keine Angst, Alice. Küssen tut nicht weh.«
    »Ich weiß, dass es nicht wehtut.«
    »Warum küsst du mich dann nicht?«
    »Darum.«
    »Ich werde es auch niemandem erzählen«, sagte sie.
    »Versprochen. Kein Mensch wird das jemals erfahren. Es wird immer unser Geheimnis bleiben.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Nun komm schon. Du wolltest mich doch von Anfang an küssen.«
    »Nein.«
    »Und zwar nicht nur auf den Mund. Auch auf meinen Bauch, meine Brüste, meine …«
    »Halt den Mund!«
    »Überall hin.«
    »Nein!«
    »Tu es, Alice. Tu es jetzt. Ich will dich. Ich will dich mehr als alles andere auf der Welt.«
    Ich nickte und fing an zu zittern. Und dann beugte ich mich zu ihr, bis unsere Körper sich berührten, und hauchte einen Kuss auf ihre leicht geöffneten Lippen.
    Plötzlich klammerte sie sich mit Armen und Beinen an mich.
    »Jetzt hab ich dich, du Schlampe!«
    Aber es war nicht mehr Judy, die das sagte.
    Es war ein Mann mit einer tiefen, gemein und schadenfroh klingenden Stimme.
    Nein, das war nicht mehr Judy Das war Milo, der mich mit Armen und Beinen an seinen glitschigen Körper und sein zermatschtes, blutiges Gesicht drückte. Ich hatte das Gefühl, als drückte er mich in seinen dicken Wanst, bis sein weiches Fett meinen ganzen Körper umschloss. Als ich losschreien wollte, drückte er seine bebenden, nassen Lippen auf meine und schob mir seine weiche, schleimige Zunge in den Mund. Aber dann merkte ich, dass es gar nicht seine Zunge war, sondern ein, langes, dickes, immer härter werdendes Ding, das er mir mit brutaler Kraft tief in den Rachen rammte.
    Ich beiß ihn dir ab, du Schwein!
    Dann wachte ich auf und merkte, dass mein Kopf unter Wasser war.
    Mist!
    Ich stieß mich mit den Ellenbogen vom Boden ab und schoss verzweifelt nach Luft schnappend mit dem Kopf aus der Wanne.
    Eine Weile saß ich da und hustete keuchend das Wasser aus meiner Lunge.
    Als ich einigermaßen wieder auf dem Damm war, war mir die Lust vergangen, noch länger in der Wanne zu liegen. Außerdem verspürte ich bei jedem Atemzug ein Stechen in der Brust.
    Träume – und damit meine ich nicht nur Albträume – sind schon etwas Unheimliches. Wenn Sie mich fragen, sind sie nur dazu da, um uns zu quälen. Entweder machen sie einem eine Scheißangst, oder sie gaukeln einem etwas vor, das wirklich toll und wunderschön ist, nur um es einem dann beim Aufwachen gnadenlos wieder wegzunehmen.
    Träume verzerren alles.
    Ich finde sie echt Scheiße.
    Und besonders übel und verzerrend werden sie dann, wenn man wirklich müde und total ausgelaugt ist.
    Ich war todmüde und total ausgelaugt, und deshalb wollte ich nicht riskieren, dass ich

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