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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Schauder. Nichtsahnend verbrachten sie ihren freien Sonntagnachmittag. Sie hielten den Krieg noch für etwas Heldenhaftes, vermutlich freuten sie sich darauf, bald in einem Panzer oder einem Truppentransporter zu sitzen und auf die Feinde losgelassen zu werden.
    Er suchte unter den Sonnenschirmen und auf den weißen Sitzbänken am Beckenrand nach Axel und Anneliese. In seiner Kindheit waren die Tage für Männer und Frauen noch getrennt gewesen. Jetzt badeten alle fröhlich durcheinander.
    Er entdeckte Lilli und Anneliese beim Planschbecken. Siegfried tobte sicher irgendwo im Schwimmerbecken herum. Und Axel? Ihn suchte er, ihn musste er sprechen. Er ging den Rand des Beckens entlang, um den lesenden Männern hinter die aufgeschlagene Zeitung zu sehen. Wasser spritzte ihm an die Beine.
    Die fleischigen Hände, die Das Schwarze Korps hielten – das konnte nur Axel sein. Georg setzte sich neben ihn auf die Bank.
    Axel sah verwundert herüber. »Georg! Warum so zugeknöpft, wo ist deine Badehose?«
    »Da kriegen mich keine zehn Pferde rein. Das Wasser muss eisig sein! Die Sonne soll ruhig noch ein paar Wochen draufscheinen. Dann gehe ich schwimmen.«
    Der Schwager lachte und faltete seine Zeitung zusammen. »Du bist genauso wasserscheu wie Anneliese.«
    »Wie läuft die Arbeit?«, fragte er. »Hast du wieder irgendwelche Passfälscher geschnappt?«
    »Wir jagen immer noch den Streichholzschachtelpartisan.«
    »Wo findest du solche zwielichtigen Leute eigentlich? Ich meine, gibt es da eine bestimmte Straße in Dortmund, wo die sich alle rumtreiben, und ihr macht von Zeit zu Zeit einen Polizeieinsatz und schnappt sie euch?«
    Axel setzte zu einer Antwort an, dann schloss er den Mund wieder. Er runzelte die Stirn. »Georg, sag bitte nicht, du hast …«
    »Nein. Nein-nein.« Seine Schläfen pochten, und der Schweiß kitzelte ihn unter den Achseln. Hatte er zu offensichtlich danach gefragt?
    Der Schwager erhob sich. Über seiner Badehose wölbte sich der behaarte Bauch. »Steh auf!« Es klang kalt und hart. Das Kommando eines Gestapo-Offiziers.
    Georg gehorchte.
    »Mitkommen!« Axel ging voran zu den Liegewiesen. Bei den Bäumen gab es ein leeres Rasenstück. Dorthin steuerte er. Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu ihm um. »Bist du wahnsinnig geworden? Nicht nur, dass du eine geflohene Ostarbeiterin bei dir aufnimmst, nein, du spazierst auch noch mit ihr vor aller Augen durch die Stadt! Das ist sie doch, die Rothaarige, mit der ich dich vorgestern gesehen habe? In der Steinwache spielt alles verrückt wegen der Frau, und mein eigener Schwager leistet ihr Fluchthilfe!«
    Georg versuchte, sich zu beruhigen. Axel hatte ihn sicher nicht zu einem entlegenen Fleckchen gebracht, um ihn festzunehmen. Er wollte verhindern, dass sie jemand hörte. Also bestand noch Hoffnung. »Es ist nicht so, wie du denkst.«
    »Dann sag mir, wie es ist.«
    Zu lügen war zwecklos. Axel wusste Bescheid. Er konnte nur an sein Herz appellieren. »Nadjeschka ist ohne mein Zutun bei mir aufgetaucht. Und ich …«
    »Bist du hirnamputiert?! Ich hätte gerne, dass mein Schwager den Krieg überlebt, was meinst du, weshalb ich dir einen Posten verschafft habe, der als kriegswichtig gilt! Ich bewahre dich vor der Front, und du hast nichts Besseres zu tun, als dein Leben hier in der Heimat zu verspielen.«
    »Das muss ja nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ich meine …«
    »Wo hast du sie versteckt? Bei deinem Großvater?«
    Er schwieg. Wie hatte er bloß glauben können, dass sie dort in Sicherheit war!
    »Wir lassen sie gleich abholen«, sagte Axel. »Irgendwie muss ich das hindrehen, dass du nicht mit einkassiert wirst. Euer Großvater ist hin, so viel steht fest. Den hast du auf dem Gewissen.«
    Es rauschte in seinen Ohren. Verzweiflung und Wut packten ihn. Die Gestapo spielte Gott, und Axel tat gerade so, als wäre dagegen nichts auszurichten. Er hatte doch die Macht, ihr Leben zu retten! »Kannst du nicht ein Auge zudrücken? Es werden wieder neue Ostarbeiterinnen angeliefert, ich beantrage Ersatz beim Arbeitsamt. Niemand wird Nadjeschka vermissen.«
    »Ich könnte dich ohrfeigen, Georg. Bist du so blöd oder tust du nur so? Du bist längst in der Verdächtigenkartei bei der Gestapo. Die wissen jetzt auch, dass du russische Bücher ins Lager gebracht hast.«
    »Aber es muss doch auch noch eine Menschlichkeit geben. Was, wenn alles ins Wanken gerät? Dann werden Dinge wie Liebe und Verwandtschaft wieder wichtig. Die Niederlage von Stalingrad,

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