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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Schade, dass die Engländer und die Russen unsere Wochenschau nicht sehen können. Dann würden sie schnell einsehen, dass der Krieg für sie verloren ist.«
    Schnitt. Brennende feindliche Panzer. Der Sprecher protzte mit »hundertdreiundneunzig dieser Stahlkolosse«, die in der vergangenen Woche vernichtet worden waren.
    Wechsel auf den Atlantik. Ein U-Boot wurde von einem Versorgungsschiff auf hoher See mit neuen Torpedos bestückt und mit Diesel betankt. Dann sichteten sie einen britischen Frachter, tauchten ab und gingen auf Gefechtsstation. Sie jagten ihm einen Torpedo in den Rumpf, tauchten auf und freuten sich über das brennende Schiff.
    Georg staunte und erschrak ein wenig über sich selbst, denn widerstrebend musste er sich eingestehen, dass auch er sich über die gelungenen Angriffe freute. Die Musik spielte so fröhlich dazu, und die Soldaten strahlten. Er erinnerte sich mahnend daran, dass in den brennenden Panzern auch Soldaten gesessen hatten, und im Frachter Matrosen, die nun tot waren.
    Endlich begann der Hauptfilm. Das schelmische Gesicht von Heinz Rühmann war eine Erholung nach den drastischen Kriegsaufnahmen. Je länger er zuschaute, desto ruhiger wurde Georg. Er lachte ein paar Mal in sich hinein.
    Er begann sich zu fragen, ob ihn Eva bewusst in diesen Film mitgenommen hatte. Heinz Rühmann sollte den Aufpasser spielen, während sein Freund Ehebruch beging. Dessen Frau versuchte ebenfalls, fremdzugehen. Wollte Eva ihren Fehltritt herunterspielen und ihm sagen: Das passiert jedem mal? Oder wusste sie von Nadjeschka und wollte ihn mit dem Film zu einer Affäre verführen?
    War es nicht bereits eine Affäre, mit der Verflossenen ins Kino zu gehen? Nein, sagte er sich. Nadjeschka weiß, dass ich hier bin. Ich tue es für sie.
    Eva legte ihre Hand auf seinen Nacken. Ihre schlanken, kühlen Finger fuhren ihm zärtlich durch die Haare. Sie beugte sich herüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich vermisse dich, Georg. Ich vermisse dich so sehr.«
    Als er nichts erwiderte und stattdessen starr nach vorn sah, zog sie ihre Hand zurück.
    Den Rest des Films konnte er nicht mehr genießen. Das Ende empfand er als Erleichterung, die aufflammenden Lichter im Saal waren ihm eine Befreiung.
    »Ich bringe dich selbstverständlich nach Hause«, sagte er kühl.
    Sie sagte: »Das willst du doch gar nicht.«
    »Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.«
    »Weil du dich dann schlecht fühlen würdest. Aber davon abgesehen, bin ich dir egal.«
    Wahrscheinlich hast du recht, dachte er.
    »Entschuldige bitte«, sagte Eva zerknirscht. Sie sah ihn von der Seite an, während sie nach draußen gingen. »Bring mich nach Hause. Ich würde mich freuen.«
    Kaum waren sie der Meute der Kinobesucher entronnen, blieb sie stehen. »Ist es, weil du dem System so kritisch gegenüberstehst, und denkst, ich wäre für Hitler und all das? Da täuschst du dich in mir. Glaubst du, mir hat der Reichsarbeits dienst Spaß gemacht, die ständigen Strumpfappelle, Zahnglasappelle, Handtuchappelle? Der Zwang, gemeinsam die Propaganda aus Berlin im Radio anzuhören, und der Nationalsozialismusunterricht? Ja, ich arbeite für das Rassenpoli-tische Amt, aber das heißt noch lange nicht, dass ich diesen Unsinn gut finde! Man muss sehen, wo man bleibt. Auch du hast das doch so gemacht, du leitest das Barackenlager.«
    »Du solltest so nicht reden.«
    »Aber ich bin bereit, so zu reden. Ich wünsche mir, dass du mich wieder in dein Herz einlässt. Du denkst, du musst deine Gedanken vor mir verschließen, nein, das brauchst du nicht, du kannst mir alles anvertrauen! Ich werde mit dir gehen, ich bin bereit, alles aufzugeben für dich, Georg.«
    »Ich denke darüber nach, ja? Gib mir ein wenig Zeit.«
    Sie nickte tapfer, auch wenn er an ihren zitternden Nasen flügeln sah, dass sie kurz davor war zu weinen. An ihrer Haus tür verabschiedete er sich mit einer kurzen Umarmung.
    »Melde dich, Georg«, sagte sie, »wenn du mich wiedersehen möchtest.«

32
    Obwohl das Wasser noch recht kalt sein musste, tummelten sich Scharen von Kindern im Städtischen Schwimm-, Luft- und Sonnenbad. Sie sprangen von den Sprungblöcken und klatschten ins Becken, sie prusteten, jagten einander. Eine lachende Kindertraube hing am eisernen Geländer, das ins Wasser führte.
    Beim Sprungbrett des Dreimeterturms sammelten sich die älteren Jungs. Georg sah sich die Sechzehn-, Siebzehnjährigen an, die fröhlich plaudernd am Sprungturm Schlange standen. Ihn überlief ein

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