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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Hindenburgstraße, die Moltkestraße. Die Friedensstraße hingegen gab es plötzlich nicht mehr.
    »Hast du die Frauen wieder eingefangen?«, fragte sie.
    »Die sind jetzt im Straflager. Aber sie zu ersetzen, das ist das Problem! Es kommt ja nicht jeden Tag ein Zug mit Ostarbeiterinnen an.«
    »Das wird sich schon klären. Du, ich habe meiner Nachbarin vorhin die Katze gefüttert, sie ist ja im Krankenhaus gerade, hat Krebs, die Arme. Jedenfalls gehe ich zu ihr rüber, bringe der Katze ihr Futter, und was tut dieses Mistvieh? Es faucht mich an und macht einen dickes Fell, und als ich es beruhigen will, kratzt es mir den Arm auf. Schau!« Sie zeigte ihm drei rote Striemen auf der Haut.
    »Hast du vorher einen Hund gestreichelt? Hattest du Hundegeruch an dir?«
    »Das kann nicht sein. Du weißt, ich hasse Hunde.« Sie blieb vor dem Apollo-Theater stehen. »Jetzt wäre ich fast vorbeigelaufen. Ich habe Karten für uns! Der Film ist zwar nicht in Farbe, aber dafür mit Heinz Rühmann. Den magst du doch so gern!«
    » Quax, der Bruchpilot hab ich schon gesehen.«
    »Es ist ein neuer Film. Er heißt: Ich vertraue dir meine Frau an .«
    Erstaunlich, dass sie noch Filme in Schwarz-Weiß drehten; nach dem Riesenerfolg der ersten Farbfilme hätte er erwartet, dass zukünftig nur noch in Agfacolor gedreht würde. »Klingt interessant.«
    Stummfilme waren schneller abgeschafft worden. Er rechnete nach. Vor vierzehn Jahren hatte er den ersten abendfüllenden UFA-Tonfilm im Kino gesehen, Melodie des Herzens . Danach war es bald um den Stummfilm geschehen gewesen, Stummfilme galten als primitiv.
    Im Vorraum des Kinos wurden auf Plakaten weitere Filme beworben. Groß natürlich Münchhausen , zweifellos in Farbe gedreht. Außerdem Kapitän Orlando , Die heimliche Gräfin , Rosen in Tirol und Alarmstufe V .
    Eva zeigte die Karten vor, sie lud ihn ein. Das war ihm unangenehm, weil es ihm das Gefühl einer Verpflichtung ihr gegenüber gab, auch wenn die Karte nur 80 Pfennig kostete. Bezahlte deshalb bei Verabredungen immer der Mann? Um sich die Frau zu verpflichten? Sie wurden in den Kinosaal eingelassen. Er dachte wehmütig an Nadjeschka und wie viel lieber er mit ihr in den Film gegangen wäre. Sie nahmen Platz und versanken in den roten Plüschsesseln. Eva sagte: »Das hat mir gefehlt. Mit dir im Kino zu sein.«
    Es ärgerte ihn, dass sie so etwas sagte. Er schwieg unwillig und drehte sich zur Bühne.
    In der Reihe vor ihnen klagte eine Frau ihrer Sitznachbarin ihr Leid: »Ich suche seit zwei Monaten nach einem Paar Halbschuhen für meinen Friedhelm. Ich musste den Bezugsschein inzwischen schon verlängern lassen!«
    Die Nachbarin tätschelte ihr den Arm. »Nach dem Krieg haben wir wieder alles in Hülle und Fülle, das lass dir gesagt sein. Und euer Ältester ist doch an der Front. Jeder, der an der Front mitgekämpft hat, bekommt nach dem Krieg ein Häuschen in den neuen Ostgebieten. Euch wird es richtig gut gehen.«
    Die Falten des Vorhangs ruckten. Er glitt auseinander und gab die Leinwand frei. Der Saal wurde dunkel. Er liebte diesen Moment, kurz bevor die Vorstellung begann.
    Die Wochenschau zeigte mächtige Trutzburgen am Ärmelkanal und dicke Kanonenrohre, die gen England gerichtet waren. Der Sprecher jubelte etwas vom »gigantischsten Festungswall aller Zeiten«. Eine Vierlingsflak schoss englische Bomber vom Himmel, deutsche Jagdflugzeuge griffen einen Verband britischer Bomber an. Dann ein brennender britischer Bomber, der in die Tiefe stürzte. Das feuerumzüngelte Wrack wurde am Boden gefilmt, dazu spielte heroische Musik.
    Wechsel zur Ostfront. Artilleriegeschütze feuerten auf russische Gefechtsgräben, das Krachen der explodierenden Geschosse dröhnte aus den Kinolautsprechern. Ein brennendes Dorf bei Nacht wurde gezeigt. Das könnte Nadjeschkas Zuhause sein, dachte er. Frauen flohen. Vor dem Feuer waren sie nur als Schattenrisse zu sehen.
    In Afrika attackierten Stukas im jaulenden Sturzangriff britische Panzer. Man war mit ihnen in der Luft, verfolgte jedes ihrer Manöver.
    »Wer macht diese Bilder?«, fragte Eva.
    Er sagte leise: »Die Kamera muss am Flugzeug befestigt sein.«
    Ein Zuschauer, der sie offenbar belauscht hatte, lehnte sich von hinten vor und sagte: »Spektakulär, nicht wahr? Als wäre man dabei.« Er sah nur Eva an. »Früher hatten sie Filmapparate in den Tragflächen, jetzt sind sie unter der Kanone in den Kampfflugzeugen drin, wenn die schießen, fängt automatisch die Kamera an zu filmen.

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