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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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musste sich ein Fenster befinden oder eine Nebentür.
    Anthony Sprigings klatschte vor Freude in die Hände. Das hier war noch besser als Pinball, und er liebte eine gepflegte Pinball-Stunde bei den amerikanischen Soldaten. Aber eine völlig veraltete, funktionsuntüchtige Kombination aus T1083-Transmitter und R1082-Empfänger wieder zum Laufen zu bringen, war ein noch größeres Erfolgserlebnis als jede Metallkugel im Bally Hole am Spieltisch. Er hatte wegen der defekten Elektronenröhren einen zweiten verrosteten R1082 ausgeschlachtet. Auch eine Antenne hatte er selbst gebastelt. Die Funkgeräte aus alten Hampden-Bombern, die früher von Scampton aus geflogen waren, hatte niemand mehr beachtet. Er aber hatte sie zu neuem Leben erweckt.
    Anthony schaltete die Frequenzen durch. Sollte Nachtauges Partner tatsächlich existieren und die Deutschen warnen, musste Operation Chastise sofort abgebrochen werden. Deutsche Nachtjäger würden aufsteigen und die wehrlosen Bomber zerschießen, bevor sie überhaupt in die Nähe des Ruhrgebiets kamen. Er konnte also Leben re tten, wenn er eine Meldung des Spions entdeckte und sie rechtzeitig weitergab.
    Im Funkraum des Flughafens waren die Stühle bequemer gewesen. Andererseits arbeiteten dort immer ein halbes Dutzend Leute. Er war lieber allein. Als man ihn am Nachmittag rausgeworfen hatte, angeblich, weil man für die Durchführung von Operation Chastise sämtliche Geräte brauchte, hatte er zwar protestiert. Schließlich sollte er lückenlos auf Funkmeldungen lauschen. Inzwischen aber war es ihm ganz recht, die kleine Kammer für sich zu haben. Und er hatte sich zu helfen gewusst.
    Draußen dröhnten die ersten Maschinen über die Startbahn. Gegen Mitternacht würden sie die Möhnetalsperre erreichen, wenn alles nach Plan lief, und bei Sonnenaufgang wieder hier landen. Dann konnte er Feierabend machen und ins Bett gehen.
    Die Blase drückte. Der viele Tee, den er beim Basteln getrunken hatte, verlangte nach einem Toilettengang. Andererseits kam sicher ausgerechnet, während er fort war, Eric Knowlden vorbei und sah das verwaiste Funkgerät. Die Blöße wollte er sich nicht geben.
    Wie albern, nicht zur Toilette zu gehen, damit er einen fleißigen Eindruck machte! Irgendwann musste er es ja doch tun. Er stand auf. Überhaupt sollte er mal lüften. Die Kammer war stickig, als würde das Sammelsurium von elektronischen Geräten in den Regalen immer noch Wärme abstrahlen aus der Zeit seiner Benutzung im Flugzeug.
    Auf dem Weg zur Toilette dachte er an die amerikanischen Freunde in London. Sie verdienten drei Mal so viel wie die britischen Soldaten, deshalb waren sie bei den Frauen beliebt, sie galten als spendabel, konnten ihre Londoner Schätzchen in Restaurants ausführen, von denen die britischen Soldaten nur träumten. Vor allem aber liebten sie Pinball, und hatten ihn damit angesteckt. Wie schön das war, wenn die Kugel das Free-Play-Loch erreichte und man einen zusätzlichen Versuch bekam. Oder das Bally Hole, das die Punktzahl verdoppelte. In vielen Städten in Amerika war Pinball verboten worden als Glücksspiel, hatte man ihm erzählt, die Soldaten waren ganz froh, dass sie hier niemand so streng kontrollierte.
    Ihm waren die Gewinne egal. Er versuchte auch nicht, durch Rütteln am Tisch zu mogeln. Beim Spitfire-Spieltisch hatte man ja sogar eine Kontrolle eingebaut, eine Glasmurmel lag in einem kleinen erhöhten Nest. Fiel sie durch das verbotene Rütteln herunter, waren die erspielten Punkte dahin.
    Wie die Metallkugel aus dem Startloch schleuderte, wie sie über die Pins tickerte! Er konnte es kaum erwarten, nach London zurückzukehren. Zuletzt waren Hunderte neuer Soldaten eingetroffen, und sie hatten unter stillschweigendem Einverständnis ihres Master Sergeant einen neuen Spieltisch mitgebracht, hieß es, einen, der mit einer Batterie funktionierte und die Punkte automatisch zählte und sogar Geräusche von sich gab mittels elektromechanischer Glocken und Summer.
    Endlich war die Blase entleert. So ließ sich die Nacht durchhalten. Er wusch sich die Hände und kehrte in die Kammer zurück. Setzte sich, sah auf die Armbanduhr: zwanzig vor zehn. Noch acht Stunden. Na, die würde er auch rumbringen. Schwungvoll setzte er sich die Kopfhörer auf und langte nach dem Frequenzknopf.
    Seine Bewegung erstarrte auf halbem Wege. Der kühle Lauf einer Pistole drückte sich ihm in den Nacken. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Diese Pistole konnte nur eines bedeuten: Nachtauges

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