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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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langer Tag«, sagte er.
    Großvater tat so, als habe er es nicht gehört. »Was esst ihr in der Ukraine?«
    »Zum Frühstück Hirsebrei. Manchmal gibt’s auch Brot und ein Löffelchen Öl auf den Teller oder etwas Zucker, in den man sein Brot eintunkt. Und wir haben viele Maisgerichte. Maisbrei kennt ihr hier gar nicht, oder? Außerdem essen wir Borschtsch, Mlinzi, Pirogi und Wareniki. Mutter macht Käse selbst, sie … Wie nennt ihr das? Buttermilch durch ein Tuch zu gießen?«
    »Seihen«, sagte Georg.
    »Ja, und dann lässt sie den Käse in Salzlake reifen.«
    Er ging zum Fenster und schaute nach draußen. Der Vollmond ließ das Kopfsteinpflaster schimmern. Ein Auto bog in die Straße, ein Flugzeug als Kühlerfigur, die Scheinwerfer, das musste ein Ford Eifel sein. Matthias hätte er sehr gefallen. Hinter ihm kam noch ein Wagen, ein Mercedes. Beide waren schwarz.
    Von einer Sekunde zur anderen beschleunigte sich Georgs Herzschlag. Das war die Gestapo! Die Autos hielten vor der Haustür. Er stürzte weg vom Fenster. »Licht aus!« Schon war er bei der Stehlampe und zog an der Schnur. Augenblicklich war es dunkel im Zimmer. »Nadjeschka, du musst raus hier, ich versteck dich auf dem Dachboden, komm!« Er zog sie zur Wohnungstür.
    »Was ist los?«
    »Die Gestapo. Die sind wegen dir hier.« Er öffnete die Tür. Schwere Schritte polterten im Treppenhaus nach oben. Also hatten sie das Licht noch gesehen. Er schloss die Tür wieder. »Versteck dich unter Großvaters Bett!« Er brachte sie hin, und nachdem sie sich unter das Bett geschlängelt hatte, zog er die Überdecke so weit darüber, dass ihr Ende bis zum Boden hing. Er ging zurück ins Wohnzimmer und schaltete die Lampe wieder ein.
    Großvater war aufgestanden. »Die wollen doch nicht das arme Mädchen holen! Warum denn? Was hat sie getan?«
    »Setz dich wieder hin«, sagte er. »Wir müssen so tun, als wären wir allein hier.«
    Eine Faust donnerte gegen die Tür. »Geheime Staatspolizei, öffnen Sie!«
    Er stand auf, schaltete im Flur das Licht ein. Ganz ruhig, sagte er sich. Sie dürfen dir die Angst nicht ansehen. Er machte die Tür auf. »Guten Abend, die Herren.«
    »Georg Hartmann?«
    »Der bin ich.«
    »Sie sind verhaftet.«
    Hinter den Männern kam noch einer die Treppe hoch, langsam. Es war Axel.
    Kenneth Fraser flog die schwere Lancaster durch die Nacht. Sie hielten sich zu dritt in V-Formation, drei weitere V-Formationen folgten ihnen als Teil der ersten Welle. »Gießt du mir einen Kaffee ein?«, bat er den Navigator. Der legte sein Sandwich beiseite, das er still gekaut hatte, und goss ihm etwas aus der Thermoskanne in die Tasse. Seine Crew war angespannt, das merkte Kenneth deutlich.
    Die Lichter der britischen Küste verschwanden hinter ihnen. Der Bordingenieur sagte: »Diesmal gehe ich drauf. Ich weiß es. Ich sehe England nie wieder.«
    Er tat, als habe er es nicht gehört, und nahm einen großen Schluck Kaffee. Dann gab er dem Navigator die Tasse zurück. Er brachte die Maschine runter, wie ihnen befohlen worden war, von der Nordsee an sollten es nur noch achtzehn Meter Flughöhe sein.
    Der Navigator sagte: »Höhenmesser auf sechzig Fuß.«
    Er meinte, das Wasser berühren zu können, wenn er nur die Hand ausstrecken würde, so dicht schossen sie über die See dahin. Er prüfte den Kurs. Sie brauchten zwei Kompasse, einer zeigte korrekte Ergebnisse mit der Bombe, der andere war für den Heimflug ohne die Bombe geeicht. Die schiere Masse des Stahlkörpers unter ihrem Rumpf erzeugte ein so starkes Magnetfeld, dass es den Kompass beinflusste.
    Kenneth kannte die Risiken. Jeder Einsatz konnte einen das Leben kosten. Von einem hochriskanten Manöver wie diesem kehrte vielleicht die Hälfte der Piloten und der Crew zurück.
    Zwar unterflogen sie das Freya-Radar der Deutschen durch ihre waghalsige Flughöhe, aber Patrouillenflugzeuge konnten sie trotzdem bemerken, oder feindliche Schiffe. Ganz abgesehen von der Flak, sobald sie ins Feindgebiet eindrangen. Üblicherweise flog man mit einem Bomber so weit oben, dass die leichte Flak einen nicht erreichen konnte. Sie aber boten sich regelrecht zum Abschießen an.
    Da würden die Ablenkungsangriffe nicht viel nützen, die gleichzeitig auf das Gebiet der Deutschen geflogen wurden. Es hieß, sie schickten vier Wellingtons nach Orléans, drei Mosquitos unternahmen einen Störflug nach Berlin, zwei nach Köln, zwei nach Düsseldorf, zwei nach Münster. Sie aber waren hier, und jeder, der sie bemerkte,

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