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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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haltet. Eine Selbstverständlichkeit und zu eurem eigenen Besten.«
    Er ließ Oksana Zeit, seine Aufträge ins Russische zu übersetzen.
    »Sonntags habt ihr frei. Eure freie Zeit habt ihr hier im Lager zu verbringen. Kontakt mit Deutschen ist nicht gestattet und wird bestraft. Bei Fluchtversuchen macht das Wachpersonal von der Schusswaffe Gebrauch.«
    Der Mann mit der Lederhand sah zu den Türmen hinauf. Sein Gesicht blieb unbewegt. Vermutlich hatte er die Einfüh rung seines Vorgesetzten schon Dutzende Male gehört. Es war nichts Ungewöhnliches für ihn, dass der Lagerleiter drohte, er und seine Kollegen würden Flüchtende erschießen. Vielleicht machte es ihm sogar Spaß, solche Drohungen wahrzumachen.
    »Ihr werdet in der Fabrik dringend erwartet«, sagte Georg Hartmann. »Morgen früh beginnt euer erster Arbeitstag.«
    »Wegtreten!«, befahl der Wachmann.
    Scheu sammelten sich die Frauen bei Oksana. Sie wies kurz auf die unterschiedlichen Baracken und erklärte, in welcher Fabrik ihre Insassen arbeiteten. »Das ist die Küchenbaracke«, sagte sie schließlich, »dort schälen wir abends nach der Arbeit die Kartoffeln für den nächsten Tag. Die beste Stunde des Tages! Der Koch hetzt uns nicht, und wir können ungestört reden.«
    »Wo schlafen wir?«, fragte Nadjeschka.
    »Kommt mit.« Oksana führte sie in die Baracke neben der Wachhütte. Von einem dunklen Flur gingen acht Türen ab. »Lasst euch durch die Stille nicht täuschen«, sagte sie. »Hier leben über zweihundert Frauen. Sie sind gerade in der Fabrik. Heute Abend werdet ihr sie kennenlernen.«
    Zweihundert Menschen in diesem kleinen Verschlag?
    Oksana öffnete eine der Türen. »Das ist unser Zimmer, gleich neben dem Aufenthaltsraum. Ich bin die Stubenälteste. Ihr könnt euch mit allen Fragen an mich wenden.«
    Im Zimmer roch es muffig nach alten Decken. Fünfzehn Doppelstockbetten standen dicht an dicht. Es gab keinen Schrank, keinen Tisch, keinen Stuhl. Sie zählte. Sieben Betten waren frei, auf ihnen lag keine Decke, die Matratze war nackt. Nahe beim vergitterten Fenster war alles belegt, also wählte sie das Bett aus, das der Tür am nächsten war. Sie kletterte hinauf und legte sich zur Probe auf die Matratze. Hart war sie und knirschte ein wenig. Wer hatte bis vor Kurzem hier geschlafen? Und was war mit der Frau passiert?
    »Ich hab Hunger«, sagte eine der Frauen, die sie aus dem Waggon kannte. »Wann gibt es etwas zu essen?« Die anderen stimmten dringlich mit ein. Ihnen allen hing der leere Magen seit Tagen wie ein harter Brocken im Bauch.
    Oksana seufzte. »Hab mir schon gedacht, dass das kommt. Wartet hier. Ich hole euch Brot.«
    Brot, endlich! Nadjeschka konnte kaum erwarten, etwas zu essen. Sie fuhr mit der Zunge am aufgesprungenen Gaumen entlang.
    Oksana erschien mit zwei fleckigen Leinenbeuteln. Sie griff in den ersten hinein und reichte jedem einen Laib Brot. Aus dem zweiten Beutel bekamen sie ein winziges Klümpchen Butter, in Wachspapier gewickelt. Nadjeschka machte sich nicht die Mühe, mit dem Daumen ein Stück vom Brot abzubrechen, sondern biss direkt hinein. Mit Mühe zwang sie sich dazu, fünfmal zu kauen, ehe sie den Bissen hinunterschluckte. Sie tunkte das dunkle Brot in die Butter und riss erneut mit den Zähnen ein Stück aus dem Laib heraus.
    Da bemerkte sie, dass Oksana still Richtung Tür zurückgetreten war und ihnen mit Tränen in den Augen beim Essen zusah.
    »Warum weinst du?«, fragte sie. »Möchtest du ein Stück?« Nadjeschka hielt ihr das Brot hin.
    »Ich will euch nicht die Freude verderben.«
    Sie schluckte einen Rest Brotbrei hinunter. »Wie meinst du das?«
    Oksanas Blick flatterte. »Was ihr gerade esst, ist euer Frühstück für sieben Tage. Jede Frau bekommt einen Laib Brot und muss ihn sich selbst einteilen. Ihr werdet hungern.«
    Eine Russin fragte: »Wenn das unser Frühstück ist, was gibt es dann zum Mittagessen und zum Abendbrot?«
    »Ihr bekommt eine warme Mahlzeit am Tag, in der Fabrik. Das ist alles. Die kleine Schale Suppe mit Kartoffelbröckchen reicht nie, um den Hunger zu stillen. Das deutsche Wirtschaftsamt sieht für uns nur wenig Nahrung vor.«
    Nadjeschka spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg. »Heißt das, sie verschleppen uns hierher, damit wir für sie arbeiten, aber geben uns nicht mal genug zu essen?«
    »So darfst du nicht reden.« Oksana machte eine strenge Miene. »Sonst landest du schneller im Keller der Gestapo, als du denkst.«
    »Warum? Weil du mich verpfeifst?«
    »Ich

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