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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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gewaltiges Stück Kuchen, das den Tellerrand überragte.
    Axel nahm es in seine Hand, führte es zum Mund, und be vor der herunterhängende Teil abbrechen und zu Boden fallen konnte, biss er ihn ab. »Der Informant«, sagte er mit vollem Mund, »war niemand anderer als Georgs Blockwart, Ulrich Wiese.« Jetzt sah er ihn zum ersten Mal richtig an, und der Blick war eisig.
    Georg schluckte. »Mein Blockwart? Der hat doch hier bei euch nichts zu suchen.«
    »Er hat dich angezeigt, Georg, bei der Deutschen Arbeitsfront.«
    Sofort fielen ihm die Spaziergänger ein, die ihn und Nadjeschka letzten Sonntag am Möhneufer gesehen hatten, bevor sie ihre Ostarbeiterjacke ausgezogen hatte. Aber das konnte nicht sein, dass die Blockwart Wiese kannten. Wenn sie ihm hätten schaden wollen, wären sie zur Polizei gegangen. Dieser Schnüffler musste anders von der Sache Wind bekommen haben. Was geschah jetzt? Würde Axel ihn festnehmen? Kam er in die Steinwache, das berüchtigte Gestapogefängnis in Dortmund? Saß man da erst mal ein, kehrte man in der Regel nicht mehr zurück. Doch er hatte sich ja keine Unzucht zuschulden kommen lassen, hatte Nadjeschka lediglich Ausgang gewährt, das lag im Rahmen seiner Befugnisse, niemand konnte ihm Blutschande vorwerfen. Und obwohl er sie nicht hätte be gleiten dürfen, nicht persönlich als Lagerleiter, reichte das nicht fürs KZ , daraus konnten sie ihm keinen Strick drehen.
    »Ist es wahr, dass du zur Sammlung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt nichts gegeben hast? Dass du von ›organisierter Bettelei‹ gesprochen hast?«
    Er atmete innerlich auf. Es ging also nur um die Spendensache. »Ach, ich hab mich nur über diesen schmierigen Kerl geärgert. Ist eine persönliche Geschichte, das hat nichts zu sagen.«
    Axel schluckte einen Bissen herunter, bevor er losdonnerte: »Dieser Ulrich Wiese vertritt die Partei!« Krümel und Speichelfetzen flogen durch die Luft. »Damit ist es keine persönliche Geschichte!«
    »Axel …« Anneliese legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm, aber er schüttelte sie ab.
    »Ich hab dir unter Einsatz meiner Ehre den Rücken freigekämpft, dass du diesen Posten bekommst, Georg. Und du riskierst alles wegen ein paar Mark!«
    »Mir geht es nicht ums Geld«, verteidigte er sich. »Ich kann nur diesen Wiese nicht mehr sehen.«
    Axel hielt inne. »Lässt sich bis zu einem gewissen Grad sogar nachvollziehen. Ich kann ihn auch nicht ausstehen. Wiese, das Wiesel! Wie auch immer, du hast eine Vorladung zur Befragung im Briefkasten.«
    »Eine Befragung – wo?«
    »Bei der Deutschen Arbeitsfront. Sie wollen dir auf den Zahn fühlen. Einem mürrischen Bauern verzeiht man es, wenn er den Sammlern die Tür verschließt – dir hingegen, einem Mann des öffentlichen Lebens, nicht. Übrigens einer, der nicht der Partei angehört. Das wird dir zusätzlich als Unzuverlässigkeit ausgelegt.«
    »Ich passe nicht zur NSDAP .«
    Axel biss wieder ab. »Ich weiß«, sagte er kauend. »Aber am Dienstag zur Ortsversammlung solltest du trotzdem kommen. Tu wenigstens so, als würdest du dich für die Aktionen der Partei interessieren. Wenn du jetzt schön stillhältst – du musst ja nicht für die Partei sein, tu einfach das, was verlangt wird –, wenn du also jetzt schön stillhältst, dann sitzt du nach dem Krieg in einem Kirschgarten am Ufer des Don und lässt die Seele baumeln. Ein schönes Landgut im ehemaligen Russland, ist das nichts?«
    »Ich soll im Verhör also lügen, damit ich später einen Garten kriege.«
    »Sag einfach, du hattest kein Geld zu Hause und der Blockwart war so frech und aufdringlich, dass es die Ehre der Partei beleidigt hat. Versprich ihnen, in Zukunft großzügig zu spenden.« Er beugte sich vor. »Und Georg, da ist noch eine andere Sache, von der er mir erzählt hat. Ich hoffe für dich, dass es nur ein Gerücht ist. Es gibt schöne deutsche Mädchen, mehr als genug, gerade jetzt im Krieg, wo ganze Generationen von Männern an der Front sind. Die Frauen fallen dir zu Hunderten um den Hals, wenn du das willst. Lass dich nicht auf Blutschande ein, hast du mich verstanden? Ich werde dem Wiese ein paar Wünsche erfüllen, damit er die Klappe hält. Und damit hat sich die Geschichte. Wenn du mit ihr erwischt wirst, geht’s direkt ins KZ , und ich kann nichts mehr für dich tun.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte er, aber seine kratzige Stimme verriet ihn. Selbst Anneliese sah ihn erschrocken an. Rasch fügte er hinzu: »Und warum darf

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