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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Reichsmark …«
    Stand das auch in der Akte? Was ging es diesen Parteibonzen an, ob er von seinem Monatslohn etwas für Spenden abzweigte oder nicht?
    »Ihr bisheriges Verhalten bietet nicht gerade Gewähr dafür, dass Sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten. Während der Schulung für Lagerführer, auf die ich Sie letztes Jahr geschickt habe, haben Sie die staatlichen Richtlinien für Fremdarbeiterlager kritisiert. Sie!«
    Georg versuchte, sich den Mann als einen Schüler vorzustellen, der ihn zu provozieren versuchte. Er wandte sämtliche Selbstbeherrschung auf, um nichts zu erwidern.
    Offenbar war es aber gerade das, was der Blutordensträger erwartete. Er sah ihn auffordernd an. »Haben Sie dazu nichts zu sagen?«
    Georg holte tief Luft. »Ich dachte, was ich in die Spendenbüchse werfe, ist meine private Entscheidung.«
    »Niemand ist ein Privatmann im Großdeutschen Reich! Mit diesem jüdisch-kapitalistischen Unsinn haben wir aufgeräumt. Wir sind eine Volksgemeinschaft. Sie sind sich, wie es scheint, nicht sicher, ob Sie dazugehören wollen.«
    »Natürlich will ich das.«
    »Für heute verwarne ich Sie. Zeigen Sie sich weiterhin reni tent, hat das schmerzhafte Folgen. Haben Sie mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Sie können gehen.«
    Er stand auf, kochte innerlich. Beim Verlassen des Büros raunte er: »Heil Hitler.«
    »Wie bitte?« Breitling erhob sich. »Sollte das der Deutsche Gruß sein? Sie haben ihn mit Stolz auszusprechen, mit innerer Leidenschaft! Das will ich noch mal hören.«
    Georg rief: »Heil Hitler!«
    Befriedigt setzte sich Breitling wieder hin. »Sie haben einen weiten Weg vor sich, Sie Jammerlappen. Einen sehr weiten Weg.«
    Aus den Fenstern der wartenden Kleinbahn gafften Dutzende Neheimer. Es kam nicht alle Tage vor, dass der Zug mitten auf dem Marktplatz von der Gestapo angehalten wurde. Axel Rottländer genoss die Aufmerksamkeit. Züge fuhren und hielten nach seinem Willen, Menschen hatten im Zug zu verbleiben, ihr Tagesablauf richtete sich danach, was er sagte, alles fürchtete sein Urteil. Er war ganz bei sich in diesem Moment. So sah er sich, so hatte er immer sein wollen.
    Er entnahm der Streichholzschachtel den kleinen Zettel und entfaltete ihn.
    Was gibt’s für neue Witze?
    Zwei Monate KZ.
    Er sah sich um. Ihm saß das unbestimmte Gefühl im Nacken, beobachtet zu werden. Der Täter war noch in der Nähe, er wollte sehen, wie sie auf seine Botschaft reagierten. »Er redet mit uns. Er fordert uns heraus«, sagte er. Dieser Aufwiegler fügte sich nicht seiner Autorität. Seine aufhetzenden Nachrichten waren eine Kampfansage an den Staat, den er, der Kriminalinspektor, verkörperte. Der Mann musste ausgemerzt werden.
    Hans folgte seinem Blick und sah in die Fenster der umliegenden Häuser. »Sie meinen, er ist irgendwo hier?«
    »Davon geh ich aus. Er weiß genau, dass wir ihn jagen. Und er lacht sich ins Fäustchen, dass wir ihn bisher nicht ins KZ bringen konnten.« Ein Fenster nach dem anderen fixierte er. Gab es eine Bewegung hinter den Gardinen? Ein Gesicht, ein Augenpaar? »Der wird noch sein blaues Wunder erleben.«
    »Dürfen wir weiterfahren, Herr Kriminalinspektor?« Der kleinwüchsige Schaffner sah ebenso respektvoll wie bange zu ihm auf.
    »Ja, fahren Sie. Er sitzt nicht bei Ihnen im Zug.«
    Erleichtert dankte ihm der Schaffner, ging auf die offene Waggontür zu und rief: »Abfahren!« Die Lok der Kleinbahn schnaufte und blies eine dichte Rauchwolke über den Platz. Der Zug rollte an. Über den Neheimer Markt fuhr die Ruhr-Lippe-Bahn immer im Schritttempo, heute aber stampfte sie, als wolle sie eilig vom Tatort fortkommen. War es ein Fehler gewesen, sie fahren zu lassen? Aber das würde er nicht riskieren, der Zettelpartisan, so dicht am Ablageort blieb er nicht, er hätte in den engen Waggons keine Fluchtmöglichkeit gehabt.
    »Zum zweiten Mal eine aufrührerische Botschaft auf dieser Bank.« Hans fuhr mit der Hand über die hölzerne Sitzfläche. »Was sagt uns das?«
    Axel rieb sich über die Bartstoppeln der Wange. »Er will uns zeigen, dass wir unfähig sind, ihn zu schnappen. Eindeutig eine Machtdemonstration.« Aus dem Augenwinkel sah er einen bulligen Mann mit Schnauzbart auf sich zukommen. Wollte ihn dieser Wiese in aller Öffentlichkeit auf seinen Schwager ansprechen?
    Nun stand der Blockwart vor ihm. »Verzeihen Sie, Herr Kriminalinspektor Rottländer, Sie hätten nicht zufällig fünf Mark, die Sie mir leihen

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