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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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ihn weiter als Lagerführer respektieren. Was sollte daraus werden, wenn sie ihm im Lager vertraulich kam!
    Nadjeschkas grüne Augen musterten ihn. Wärme lag in ihrem Blick. »Ich kann mir dich gut als Lehrer vorstellen.«
    Ein Kriegsversehrter kam auf sie zu, er stützte sich bei jedem Schritt auf eine Krücke. Was wollte er? Der Mann war jünger als er, Georg. Sein Gesicht war fahl und mutlos. Sie machten ihm Platz. Er betrat hinter ihnen die Apotheke.
    »Was sind das für Bilder?«, fragte sie, und wies auf die Plakate an den Laternen. »Überall Tiere!«
    »Der Zirkus Sarrasani wirbt für seine Vorstellungen.«
    »Mitten im Krieg führen sie euch Tierkunststücke vor?«
    So, wie sie es sagte, kam es ihm plötzlich ungehörig vor. »In den Städten werden immer noch Opern und Theaterstücke aufgeführt. Es gibt Konzerte, Gemäldeausstellungen, Lesungen.«
    »Weil der Krieg nicht bei euch tobt, sondern bei uns.«
    »Wir sollten hier nicht über so etwas reden.«
    An der Wasserpumpe schalt eine Mutter ihr Kind: »Du läufst mal wieder rum wie ein Jude. Kannst du dich nicht ordentlich anziehen?« Sie stopfte dem Kind das Hemd in die Hose.
    »Du wolltest doch etwas essen«, sagte er. »Komm!«
    Da schlug ihm jemand auf die Schulter. »Georg! Wen hast du denn Hübsches dabei?«
    Paulheinz Schmauser. Mathematik und Physik. Er trug das Parteiabzeichen, das winzige blitzende Stück Metall, das ihn zu einem besseren Menschen machte.
    »Das ist Josefine«, stellte er sie vor, »aus Lüttringen. Josefine, das ist Paulheinz. Ein Kollege von mir.«
    Bevor sie etwas sagen konnte, nahm Schmauser Nadjesch kas Hand, führte sie an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf. »Sehr erfreut! Wirklich, Sie sind eine Augenweide. Wollen wir uns nicht für eine Tasse Ersatzkaffee und ein Stück Kuchen ins Café Röther setzen? Ich muss herausfinden, wo der Hartmann solche Schätze wie Sie findet. Sie haben nicht zufällig eine Schwester, die gern tanzen geht und einen Kavalier gebrauchen kann?«
    »Ein andermal gern, Paulheinz«, sagte er hastig. »Wir wollten gerade ins Kino, in die Nachmittagsvorstellung.«
    »Wie ihr meint, ihr Turteltäubchen.« Schmauser lachte. »Wer soll’s euch verübeln, dass ihr gern allein im dunklen Kino sein wollt? Ich muss in dieselbe Richtung, ich begleite euch noch ein Stück.« Kaum waren sie losgegangen, fragte er: »Also, wo hast du ihn kennengelernt, Josefine?«
    »Im Zug«, sagte sie.
    »Wir saßen im selben Abteil«, ergänzte er. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. »Wir sind ins Gespräch gekommen, und jetzt ist sie zu Besuch da.«
    »Du Glückspilz!« Paulheinz schüttelte den Kopf. »Neben mir sitzen immer bloß Kriegsinvaliden oder Mütter mit einer fünfköpfigen Rasselbande. Neulich ist mir was passiert, das werdet ihr nicht glauben. Zwei Frauen stiegen ein, Blondinen, wirklich hübsch zurechtgemacht, ich wollte sie schon ansprechen, da fingen sie an, auf die Regierung zu schimpfen. Es wurde immer wilder. Ein Offizier saß bei uns im Abteil, ich dachte, dass er jeden Moment aufspringen wird, um sie festzunehmen, doch er guckte nur aus dem Fenster und hat den Mund gehalten. Ich hab die Frauen zurechtgewiesen. Sie haben trotzdem weitergemacht auf das Dreisteste. Schließlich hat sich der Offizier umgedreht und gesagt: ›Jetzt reicht es aber mal.‹ Da haben ihm die Frauen ihr Gestapoabzeichen gezeigt. ›Unmöglich, dass Sie so lange still zugehört haben als Offizier! Sie hätten viel früher protestieren müssen. Mitkommen!‹ Zum Glück hat’s mich nicht erwischt. Stellt euch mal vor, ich hätte den Damen schöne Augen gemacht! Nicht auszudenken!« Er lachte.
    So, dachte Georg, rede weiter, bald sind wir beim Kino. »Wirklich, die waren von der Gestapo?«
    »Ja! Nicht dass ich was gegen Gestapobräute habe.« Er sah verunsichert zu Nadjeschka. »Wirklich, ich stehe zur Partei. Bin ja ein Mitglied der ersten Tage. Also, ich hab das jetzt nur als Witz erzählt. Ihr versteht schon?«
    »Klar. Eine lustige Geschichte.«
    »Wie gefällt Ihnen Neheim?«, fragte er Nadjeschka.
    »Gut.«
    »Sehr gesprächig sind Sie nicht.« Er lachte. »Na dann, meine Beste. Verzeihen Sie, wenn ich ein wenig grob daherkam, ich bin manchmal so, da müssen Sie sich nichts denken.«
    »Schon gut.«
    Verwirrt sah er Georg an.
    Hatte er ihren fremden Akzent bemerkt? Georg beeilte sich zu sagen: »Sie ist sensibel, aber eine ganz feine Frau. Beim nächsten Mal setzen wir uns zusammen ins Café, dann wirst du merken,

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