Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
könnten?«
    »Nein, bedaure.«
    »Das ist schade. Ich wollte mir nämlich gerade ein Paar Strümpfe kaufen. Hab noch vier Punkte auf der Kleiderkarte übrig, und die alten Strümpfe sind so oft gestopft. Vielleicht sehen Sie mal flink für mich nach, ob Sie nicht doch etwas Geld dabeihaben.«
    »Wir sind mitten in einer Observation«, fuhr Hans ihn an. »Und wie reden Sie mit dem Herrn Kriminalinspektor? Wo ist Ihr Respekt, Mann?«
    Wieses Schweinsäuglein wanderten listig von ihm zu Hans und zurück. Er schien zu ahnen, wie unangenehm es ihm war, in Gegenwart seines Assistenten angesprochen zu werden. »Natürlich, Respekt hab ich«, sagte er. »Trotzdem gibt es ja auch menschliche Bedürfnisse, nicht wahr, die müssen gestillt werden.«
    Hans packte ihn am Kragen und schob ihn vor sich her. »Wir bekämpfen hier die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung, und Sie kommen uns mit gestopften Socken!«
    »Ich hab gedacht …«
    »Das Denken erledigt der Führer. Sie sollen gehorchen!« Es fehlte nicht viel, und Hans würde ihn in die Gosse werfen.
    »Lass das, Hans.« Es verschaffte Axel eine gewisse Genugtuung, den Blockwart eingeschüchtert zu sehen. »Ich kümmere mich um den Mann. Telefonier du währenddessen mit der Steinwache. Sie sollen einen Beamten schicken, der den Neheimer Markt im Auge behält, rund um die Uhr. Vielleicht versucht es der Witzbold hier noch einmal, solche Spielernaturen können’s nicht lassen. Dann schnappt die Falle zu.«
    Nach einem finsteren Blick auf Ulrich Wiese entfernte sich Hans in Richtung des roten Telefonhäuschens.
    Wiese rückte seine derangierte Kleidung zurecht. »Unerhört.«
    Axel zischte: »Sie und ich wissen genau, dass Sie das Geld nicht pumpen wollen. Sie versuchen, mich zu erpressen. Warum sollte ich Ihnen schon wieder etwas geben?«
    »Weil ich Sie freundlich bitte.«
    »Überschätzen Sie nicht meine Loyalität zu Georg Hartmann. Wir sind nicht blutsverwandt, ich bin bloß mit seiner Schwester verheiratet.« Er sah Hans den Hörer einhängen. Bevor Hans aus dem Telefonhäuschen trat, sagte er rasch: »Ich geb Ihnen zwei Mark. Und das ist das letzte Mal. Wenn Sie noch einmal kommen, zeige ich Sie an. Haben Sie mich verstanden?« Er entnahm der Geldbörse zwei Markscheine.
    Der Blockwart erbeutete das Geld. »Sollte eine Weile reichen. Denken Sie daran, wenn Sie zur Polizei gehen, rede ich.«
    »Ich gehe nicht zur Polizei, ich bin die Polizei. Sie vergessen, mit wem Sie sich hier anlegen!«
    Wiese ließ das Geld in der Hosentasche verschwinden. »Kein Grund, sich aufzuregen.« Er trollte sich, nicht ohne Hans höhnisch zuzuwinken.
    Der fragte: »Was hat er noch gewollt? Unerhört, dass die Partei einen solchen Schnorrer als Blockwart einsetzt.«
    Axel ging nicht darauf ein. »Schickt die Steinwache einen Mann?«
    »Ja. Er ist in anderthalb Stunden hier.« Hans sah nach wie vor dem Blockwart hinterher.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Axel, »diesen Blutegel zerquetsche ich, wenn er sich erneut blicken lässt.« Ein kleiner Blockleiter, der sich mit der Gestapo anlegte! Der würde sich noch umgucken. Axel stellte sich vor, wie er ihn verhörte, wie er ihm den heißen, hellen Scheinwerferkegel ins Gesicht drehte, ihm Salzwasser einflößte. Er drehte ihm in seiner Vorstellung die Fingergelenke heraus, goss ihm Säure auf die Füße, Wiese bekam nicht das weiche, sondern das harte Verhörprogramm, Fußtritte und Peitschenhiebe. Das Kerlchen sollte bloß nicht glauben, dass er sich mit Axel Rottländer anlegen konnte! Da hatte er danebengegriffen, an ihm würde er sich verheben.

18
    Schüchtern betrat Nadjeschka sein Büro und zog die Tür hinter sich zu. »Du wolltest mich sehen?«
    Immerhin duzte sie ihn inzwischen, ohne dass er sie dazu auffordern musste. Aber sie sah ihn dabei an, als fürchte sie, jeden Moment für ihre Dreistigkeit gescholten zu werden. Sie brauchte immer eine Weile, ehe sie sich in seiner Gegenwart entspannte.
    »Komm, setz dich.«
    Sie kam näher. Ihre Hände waren noch schmutzig von der Fabrikarbeit. Dennoch, die feinen Wimpern, die freche Nase …
    Er öffnete die Schublade und holte den Kuchen hervor. »Der ist für dich.«
    Nadjeschka riss die Augen auf. »Marmorkuchen!«
    »Selbst gebacken.«
    »Den hast du gemacht? Für mich?« Sie sah ihn voller Verblüffung an.
    Er hatte das Gefühl, dass ihre grünen Augen ihn hypnotisierten. Am liebsten hätte er Nadjeschka auf der Stelle geküsst, den süßen, jungen Mund, das Gesicht, den Hals,

Weitere Kostenlose Bücher