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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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abschirmen.
    »Schöne Maschinen haben Sie da.«
    »Wie sind Sie auf den Flugplatz gekommen? Die Sicherheitsregeln erlauben das nicht. Sie sollten besser draußen am Tor warten.«
    Sie tat, als sähe sie zum ersten Mal ein Flugzeug aus der Nähe. »Die sehen ganz anders aus, wenn man sie am Himmel fliegen sieht. Von Nahem sind sie roh und … wie Apparate eben.« Unter den Rumpf der Lancasters montierten sie Scheinwerfer, einen unter die Nase, den anderen hinter den Bombenschacht. Sie wurden beide nach Steuerbord ausgerichtet. Was hatte das zu bedeuten? Wollten sie jeman den blenden? Bei Nacht U-Boote bekämpfen? Das intensive Nacht training sprach dafür. Oder hatten sie einen Weg gefun den, die unterirdischen Erdöltanks im Reich zu zerstören? Gab es eine neue Bombe? Der ausgebaute mittlere Geschützturm sprach dafür, so sparte man Gewicht, das man bei der Bomben ladung hinzufügen konnte. Die schwer gepanzerten U-Boot- Bunker an der Küste kamen ebenfalls als Ziel für neue, schwere Bomben infrage. Andererseits sprachen die Schein werfer dagegen – die würden eher stören, sobald die Nebelmaschinen der Verteidigung anliefen.
    »Gehen Sie, und zwar sofort, oder ich ruf den Sicherheitsdienst.«
    Sie gab sich sehr überrascht und zog einen Schmollmund: »Verzeihung. Ich wusste nicht, dass es verboten ist, den Hangar zu betreten. Sie müssen doch nicht gleich so unfreundlich zu mir sein.« Sie machte kehrt und ging in Richtung des Verwaltungsgebäudes.
    Als eine Frau im hübschen, sportlich schwarzen Kleid ihr Büro betrat, bedeutete Kathleen Slater ihr, sich zu setzen, hielt die Sprechmuschel zu und sagte leise: »Einen kleinen Moment bitte.« Die Besucherin nickte. Die Schimpftiraden des Bauern am Telefon wiederholten sich bereits zum dritten Mal, er sagte immer dasselbe. Da war Bess, ihre dreizehnjährige Tochter, einfallsreicher. Sie probierte wenigstens ständig neue Argumente aus in der Hoffnung, eine Schwäche in der Abwehr ihrer Mutter zu finden. Zum Beispiel, wenn es um ein Stück Cadbury’s-Schokolade ging: »Nur ein winziges Stück, Mama!« »Bei meinem letzten Geburtstag hatten wir keine.« »Zur Belohnung, wenn ich den Abwasch mache?« Oder gestern erst: »Du hast William lieber als mich. Wenn er fragen würde, bekäm er bestimmt etwas, das weiß ich genau.«
    Zum dritten Mal heute dachte Kathleen daran, um eine Versetzung zu bitten. Ihre Aufgabe in Scampton zermürbte sie von Tag zu Tag mehr. Das Geschwader übte Tiefflüge, und sie, die dafür verantwortlich war, die entsprechenden Dörfer und Landkreise vorab zu informieren, wurde nur unzureichend von den Routen in Kenntnis gesetzt.
    Das Gegenüber am Telefon verfluchte die Höllenmaschinen, die nur ein paar Meter über dem Boden die Tiere überflogen hatten. Zwei seiner Rinder seien im Zaun verendet, und das in diesen Zeiten! Er fing an, die Piloten zu verdächtigen.
    »Nein, ich glaube nicht, dass sie das absichtlich gemacht haben«, sagte sie und warf ihrer Besucherin einen Blick zu, der sie weiterhin um Geduld bitten sollte. Aber die Frau mach te einen entspannten Eindruck und schien keinerlei Zeitdruck zu verspüren. »Mr … äh … Cornish, hören Sie, diese Tiefflüge … Nein, wir haben bei der Royal Air Force keine … Bitte verstehen Sie, wir sind im Krieg, und es … Jetzt werden Sie unfair, Mr Cornish, ich finde nicht, dass wir schlimmer sind als die Deutschen. Bitte beruhigen Sie sich. Wenden Sie sich bitte schriftlich … Wenn Sie eine Entschädigung für die … Aber ich glaube Ihnen doch!«
    Die Navigatoren der Bomberschwadron vergaßen, ihr die Flugroute durchzugeben, oder »schafften es zeitlich nicht«. Und sie musste dann die Folgen ausbaden: Die Beschwerden der Menschen, die sich zu Tode ängstigten, Fehlgeburten erlitten oder Schockzustände durchlebten, die Vorwürfe der Bauern, denen das Vieh auf der Weide durchging, weil die Flugzeuge dicht über dem Boden über die Tiere hinwegdonnerten waren, Amtsträger, die sich übergangen fühlten und vermutlich ihrerseits von der Bevölkerung beschimpft wurden.
    Das Schimpfen war regelrecht zur Mode geworden. Jeder machte seinem Unmut ungezügelt Luft. Und sie, Kathleen, musste freundlich bleiben, sich maßregeln lassen für Miss stände, für die sie nicht die mindeste Verantwortung trug. Die Leute taten so, als sei sie am Krieg schuld, an den lauten Motoren, an der Unmöglichkeit, rechtzeitig Bescheid zu sagen, bevor ein Bomber, der mit dreihundertfünfzig Stundenkilometern über

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