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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Hügel und Wälder hinwegflog, einen bestimmten Flecken Englands erreicht hatte.
    Endlich erlahmte der Bauer. Sie gab ihm die Adresse für eine schriftliche Beschwerde durch und legte auf.
    Eigentlich hatte sie keine Kraft mehr, aber sie riss sich zusammen, wandte sich der Besucherin zu und fragte freundlich: »Was kann ich für Sie tun?« Sicher eine weitere Beschwerde. Wo hatte die Frau nur das Kleid her?
    »Ich arbeite für eine Filmproduktionsfirma in Soho«, sagte sie und klappte den Taschenspiegel zusammen, mit dessen Hilfe sie ihre Lippen nachgezogen hatte. »Wir wollen einen Kurzfilm über die Royal Air Force drehen. Können wir nächste Woche mit einem Team hier Aufzeichnungen machen? Morgens ist das Licht am besten. Wäre es möglich, dass Sie einige Starts und Landungen für uns arrangieren?«
    »Wie war Ihr Namen noch mal?«
    »May Whitewood. Wir haben neulich auch diesen Film über die Luftschutzregeln gemacht, den haben Sie doch bestimmt gesehen.«
    »Hören Sie, Miss Whitewood. Sie müssen sich wegen einer Genehmigung an den Flugplatzkommandanten wenden. Aber ich kann Ihnen seine Antwort schon jetzt sagen: Er wird es nicht gestatten, dass Sie hier drehen.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich will Ihnen nur Mühe ersparen.«
    »Hören Sie«, sagte die Frau vom Film und beugte sich vor, »wir haben den Auftrag von ganz oben erhalten, aus dem Luft fahrtministerium, und man hat uns auf Sie verwiesen. Ihr Flug hafenkommandeur wird sicher ein Einsehen haben, sobald ihm das Empfehlungsschreiben des Ministeriums vorliegt.«
    Kathleen überlegte. Niemals hätte das Ministerium ausgerechnet Scampton als Flughafen für Filmaufnahmen ausgewählt. Wofür das Geschwader von Guy Gibson so hart trainierte, wusste sie nicht, aber die Flieger waren rund um die Uhr in der Luft – so häufig, dass die Techniker sich schon Sorgen um die zu hohe Abnutzung der Flugzeugteile machten. Offensichtlich arbeiteten sie auf ein Ziel hin. Und das war so geheim, dass nur zwei Personen auf dem Gelände es kannten: Wing Commander Gibson und sein Vorgesetzter, Air Vice-Marshal Ralph Cochrane.
    Warum log die Frau sie an? Heute morgen erst hatte sie einen Anruf erhalten, der eindringlich vor Spionen warnte. Hatten die Deutschen von dem geheimen Vorhaben Wind bekommen? Wenn diese elegante Dame wirklich eine Spionin war, musste sie Alarm schlagen. Nur wie? Am besten hielt sie die Frau hin, ließ sie im Büro warten und holte Hilfe. Über ihre armselige Nahkampfausbildung machte Kathleen sich keine Illusionen. Im Kampf gegen eine Agentin würde das niemals ausreichen. »Also gut, ich werde für Sie nachfragen.« Sie stand auf.
    Die Frau erhob sich ebenfalls. In ihrem Blick hatte sich etwas geändert. Alle Freundlichkeit war daraus gewichen.
    Sie weiß, dass ich es weiß, dachte Kathleen. Ihr Hals verengte sich. »Oder wenn Sie möchten, kann ich Sie auch zum Flughafenkommandeur bringen«, brachte sie heraus.
    »Ziehen Sie die Uniform aus«, sagte die Frau.
    »Wie bitte?«
    »Ich sage es nicht noch einmal.«
    Kathleen schluckte. Sie begann, ihre Uniformjacke aufzuknöpfen. Also ist sie tatsächlich eine Agentin der deutschen Abwehr!, dachte sie. Will sie mich töten? Ihr Herz schlug schneller und schneller. Sie knöpfte den Rock auf, ließ ihn herunterfallen und stieg heraus. Aber dann hätte die Agentin es gleich getan, versuchte sie, sich zu beruhigen.
    »Die Bluse auch.«
    In Kathleens Bauch flackerte die Angst. Diese Stimme war so kalt. Die Frau scherte sich einen Dreck um ein Menschenleben, da war sie sich sicher. Sie knöpfte die Bluse auf und schlüpfte heraus. Wenn nur jemand hereinkäme, wenn sie jemanden rufen könnte! Draußen ging einer vorbei, sie sah die Bewegung durch den Spalt der Tür. Sie wollte schreien. Sie konnte es nicht, aus Angst davor, was die Frau ihr dann antat. Sie sagte: »Scott?«
    Etwas blitzte in der Hand der Agentin auf, Kathleen spürte einen Schnitt an ihrem Hals. Dann flog das Blitzende auf die Tür zu, im selben Moment, in dem sie sich öffnete und Scott hereintrat. Ein Messer steckte in Scotts Kehle. Er fasste danach, spuckte Blut, röchelte. Die Agentin schwang sich über den Schreibtisch, raubtierhaft. Sie riss Kathleens Rock, Jacke und Bluse an sich und gab ihr einen Stoß. Etwas Rotes sprudelte ihr aus dem Hals. Kathleen hatte das Gefühl, schlucken zu müssen, wollte Luft holen und hörte ein Gluckern. Sie hielt sich den Hals, warm quoll das Blut heraus, diese Frau musste ihr einen schlimmen Schnitt verpasst

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