Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
nachgehen, egal, wie absurd es auch klingen mag.«
»Machen Sie, was Sie wollen«, seufzte Barker. »Die ganze Sache wächst mir langsam sowieso über den Kopf.«
Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen, stand auf und legte meine Hand auf Barkers Schulter.
»Entschuldigen Sie, Professor. Es tut mir leid, wenn ich eben unfreundlich war. Lassen Sie uns von was anderem reden. Haben Sie dieses alte Dokument weiter übersetzt?«
Barker nickte, und ich merkte, dass seine alte Vitalität wieder erwachte, als er in seinen Notizen wühlte.
»Hier«, sagte er. »Ich habe zwei weitere Absätze entschlüsselt. Wie es heißt, verbergen sich die einzelnen Orden der ›Dunklen Schwestern‹ stets in unterirdischen Gewölben. Sie sind allerdings nicht die ganze Zeit dort. Wir müssen jetzt…«
Die Türklingel schrillte.
Barker sprang auf.
»Goldstein! Er ist viel zu früh dran!«
»Ganz ruhig, Professor, bleiben Sie sitzen. Ich mache schon auf. Entspannen Sie sich und überlassen Sie das Reden bis auf weiteres mir.«
Ehe er antworten konnte, war ich schon auf dem Flur und öffnete die Haustür.
Goldstein klappte der Kiefer herunter. »Sie?«
»Guten Abend, Herr Kommissar. Ja, ich hier. Passt es nicht in Ihr Weltbild, dass man in ›Grants Club‹ bedient und trotzdem gelegentlich für einen Professor als dessen Assistentin arbeiten kann? Ich studiere Archäologie, Herr Kommissar.«
Goldstein trat wortlos ein. Dann gab er sich einen Ruck und reichte mir die Hand. Sie war angenehm warm. Ich fühlte ein sonderbares Prickeln in meinem Rücken.
»Und? Kann ich jetzt den Professor sehen?« fragte er und sah betont auf seine Uhr.
»Natürlich«, hörte ich die Stimme des Professors.
Barker stand in der Tür seines Arbeitszimmers. Krampfhaft versuchte er, seine Nervosität zu überspielen.
»Kommissar Goldstein, kommen Sie rein und setzen Sie sich.«
»Danke, dass Sie mich heute Abend schon wieder empfangen, Herr Professor«, sagte Goldstein. »Sie sagten, Sie hätten Informationen für mich?«
»Nun, wie man’s nimmt«, antwortete Goldstein. »Ich habe das recherchiert, was Sie wissen wollten. Versprechen Sie sich nicht zuviel davon.«
Dann hielt Barker einen längeren Vortrag über okkulte Vereinigungen, Vampirfreaks und all die anderen sonderbaren Menschen in der Stadt. Ziemlich schnell wurde klar, dass es sich zumeist um harmlose Zeitgenossen handelte, die vom Übersinnlichen fasziniert waren, einschlägige Literatur sammelten und tauschten, sich zu »Fachgesprächen« trafen oder Videoabende mit Horror-Filmen veranstalteten. Am äußersten Rand dieses Spektrums gab es allerdings auch ein paar Verrückte, die Schwarze Messen zelebrierten oder – wie im Falle der »Jünger Draculas« – sich als Vampire gebärdeten, Gräber schändeten und sich an Tieren vergriffen.
Goldstein hörte konzentriert zu, machte sich ab und zu Notizen und verzog keine Miene. Ab und zu sah er mich kurz an. Ich beobachtete ihn. Was faszinierte mich nur so an diesem Mann? Er war nicht mal besonders freundlich zu mir.
Als der Professor geendet hatte, blätterte Goldstein nachdenklich in seinen Notizen. »Vielen Dank, Herr Professor«, sagte er schließlich. »Das war sehr aufschlussreich.«
Er sah mich an.
»Was meinen Sie denn zu alldem, Ludmilla.«
»Man kann nie wissen«, antwortete ich. »Das Böse fasziniert die Menschen. Aber letztendlich glaube ich, da ss das alles Spinner sind.«
»Auch Spinner morden«, sagte Goldstein.
Barker raffte seine Notizen zusammen und resümierte: »Wie dem auch sei, ich denke, diese ›Jünger Draculas‹ sind – zumindest was den Bereich Vampire betrifft – die einzigen, die wirklich so etwas wie kriminelle Energie entwickelt haben.«
Goldstein blickte auf.
»Sie meinen diese Typen, die nachts auf Friedhöfen rumgeistern?«
»Genau, die. Aber Mord… ich weiß nicht…«
»Keine Sorge, Herr Professor. Ich verhafte ja nicht gleich irgend jemanden. Wir ermitteln lediglich in alle möglichen Richtungen und sammeln Informationen. Ich denke, ich werde diese ›Jünger Draculas‹ mal besuchen. Haben Sie eine Adresse?«
Barker kritzelte etwas auf einen Zettel. »Hier. Ihr Chef nennt sich Alucard. Das ist Dracula rückwärts gesprochen. Sehr sinnig, nicht wahr? Sein richtiger Name ist Mark Polder.«
Goldstein stand auf und steckte den Zettel in die Tasche. »Ich danke Ihnen beiden, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben. Ich sollte jetzt wirklich gehen.«
»Ich mu ss auch los, Professor«,
Weitere Kostenlose Bücher