Nachtblauer Tod
ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt und Knöpfen daran. Er stand einen Moment nur da und sah Leon erstaunt an, als würde er ihn für eine Erscheinung halten. Dann, als endlich zu ihm durchdrang, dass er keine Vision hatte, sondern Leon wirklich vor ihm stand, umarmte er ihn wortlos und drückte ihn fest an sich.
Leon war überrascht und gerührt. Ihm kamen sofort die Tränen. Es war augenblicklich klar, dass er hier willkommen war.
Natürlich hatte Maik gehört, was geschehen war. Er zog Leon in die Wohnung und schloss mit der Hacke die Tür, dann brachte er Leon in die Küche. Leon klemmte sich auf die Sitzbank hinter den Tisch.
»Kaffee?«, fragte Maik, und es kam Leon so vor, als würden sie eine Szene aus einem Film nachspielen, an dessen Titel er sich nur nicht mehr erinnern konnte.
In Maiks Nähe fühlte er sich oft so. Alles, was ihn umgab, hatte etwas Unwirkliches, auch die Situation jetzt.
Er stellte nicht viele Fragen. Er war wie die Filmhelden in den Hollywood-Actionstreifen. Er handelte lieber als zu reden.
Er schob die Tasse vor Leon auf den Tisch und nahm sich selber eine. Er pustete, bis die schwarze Flüssigkeit sich in Wellen kräuselte.
»Du kannst erst mal hierbleiben«, sagte er.
Leon konnte gar nicht sprechen. Er sah Maik nur an.
»Ist doch klar«, ergänzte Maik und winkte ab, als müsste man über solche Selbstverständlichkeiten gar nicht sprechen. Er öffnete den Kühlschrank und holte ein Stück Obstkuchen heraus.
»Selbstgemacht.«
Leon aß nichts. Er hätte jetzt keinen Bissen runtergekriegt. Er sammelte Worte für seinen nächsten Satz. Sie waren ihm irgendwie verlorengegangen. Sie lagen wie einzelne Leuchtbojen an Land gespült am Strand seines Bewusstseins. Er hob sie mühsam auf, überprüfte sie auf ihre Brauchbarkeit und setzte sie dann ein.
»Sie verdächtigen meinen Vater.«
»Ich weiß«, sagte Maik. »Bei jedem Mord ist der Ehepartner erst einmal der Hauptverdächtige.«
Leon führte die Tasse zum Mund. Seine Hand zitterte, und er setzte sie wieder auf dem Tisch ab, ohne daraus getrunken zu haben.
»Ben und Johanna sind noch in der Schule. Ulla kommt erst so gegen fünf. Ich mache heute Spaghetti mit drei Soßen. Tricolore. Grün. Rot. Weiß. Pesto, Bolognese und Carbonara.« Er sah auf die Uhr. »Wir haben aber noch Zeit. Komm, wir räumen meinen Hobbyraum für dich um. Wir stellen da ein Klappbett auf, oder du kannst auf dem alten Sofa schlafen.« Er stockte und legte eine Hand auf Leons Schulter. »Oder willst du lieber in Bens Zimmer?« Dann beantwortete er seine Frage selber: »Nein. Das führt auf die Dauer zu Konflikten. Besser, du hast einen Raum für dich allein.«
Er rechnet also damit, dass ich länger bleiben werde, dachte Leon.
Maik führte Leon in seinen Hobbyraum, der von Frau Fischer auch »das Fotoatelier« genannt wurde, weil in der Ecke Scheinwerfer mit schwarzen Flügelklappen standen, die dem Zimmer eine Filmsetatmosphäre gaben. In einer Ecke des Zimmers hing ein aufgespannter Schirm an der Decke.
Maik machte eine einladende Geste: »Mach dir keine Sorgen. Du kannst hierbleiben, bis die Unschuld deines Vaters bewiesen ist … Du glaubst doch, dass er unschuldig ist, oder?«
16
Leon half beim Würfeln der Zwiebeln. Er schabte auch die Möhren ab. Maik behauptete, das Geheimnis einer guten Bolognesesoße sei es, zwei junge Möhren mit hineinzugeben, die alles knackig machten.
Sonst redeten sie nicht viel. Wenn, dann über ganz praktische Dinge. Die richtige Portion Schinken in der Carbonarasoße und ob Knoblauch besser fein geschnitten oder gepresst wird.
Das Ganze tat Leon gut. Es nahm den Druck aus der Situation. Er fühlte sich ein bisschen wie zu Hause, als alles noch in Ordnung war.
Maik benutzte keine frischen Kräuter wie Leons Mutter. Bei ihm kam alles aus der Dose. Er hatte fünfzig oder mehr Gewürze im Schrank, und er nahm reichlich davon.
Die Familie aß gemeinsam. Alle taten so, als gehöre Leon schon seit Jahren dazu. Lediglich Johanna war ein bisschen kratzbürstig. Aber das schien ihre Art zu sein und zielte nicht auf Leon persönlich.
Die Spaghetti Bolognese waren umwerfend gut. Erst nach dem Essen fragte Frau Fischer, ob es nicht wichtig sei, dass Leon sich bei den »zuständigen Stellen melde«.
Leon sagte nichts. Er sah Maik an, den er als Verbündeten empfand.
Maik räumte die Teller in die Spülmaschine und sagte: »Aber lass den Jungen doch erst mal zur Ruhe kommen.«
Ulla Fischer brauste gleich auf, aber
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