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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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nicht an, trotzdem konnte Leon das Weiße in den Augen sehen. Wer immer es war, er bemühte sich, keinen Lärm zu machen.
    Für einen Moment dachte Leon, es sei Johanna, aber dann flüsterte Ben: »Ich bins. Ulla und Maik haben sich schrecklich gestritten wegen dir.«
    Ben nannte seine Mutter oft beim Vornamen. Leon hatte so etwas nie getan. Er sagte nicht Holger und Kirsten, sondern Mama und Papa oder, wenn er über sie sprach, Vater und Mutter.
    »Warum machst du das Licht nicht an?«
    »Weil meine Mutter denkt, dass ich längst schlafe. Niemand muss wissen, dass ich bei dir bin. Ich wollte dir nur sagen, wenn du Geld brauchst, um abzuhauen, ich habe noch fast vierhundert Euro.«
    »Danke, Ben. Du bist ein echter Kumpel. Aber warum sollte ich abhauen?«
    »Ich dachte ja nur …«
    Das war typisch Ben. Ich dachte ja nur  … sagte er oft, wenn ihm die Argumente fehlten oder er sich genierte zu sagen, was er dachte.
    Es versetzte Leon einen kurzen Stich. War das ein Freundschaftsdienst von Ben, oder wollte er ihn nur gerne loswerden? Glaubte Ben an seine Schuld?
    »Was dachtest du nur?«
    »Ulla sagt, wir würden uns strafbar machen, wenn wir dich hier verstecken, und das sei alles Wahnsinn und würde sowieso auffliegen … Sie hat sich echt gefetzt mit Maik. So kenne ich sie gar nicht. Sonst schmilzt sie jedes Mal dahin, wenn Maik etwas möchte, dann ist es immer möglich. Aber in diesem Fall …«
    »Kann deine Mutter mich nicht leiden?«
    Leon zog die Beine an und setzte sich aufrecht hin. Er umschlang seine Beine mit den Armen.
    »Die hat gar nichts gegen dich. Die macht Stress, weil sie Schiss vor der Polizei hat. Sie will immer alles ordentlich regeln.«
    »Nein«, sagte Leon hart. »Sie glaubt, dass ich der Täter bin, und sie will nicht, dass ich hier bei euch verhaftet werde.«
    Ben stolperte über Leons Schuhe. »Ich glaub, ich geh jetzt.«
    »Warte, bleib doch. Das muss dir doch nicht peinlich sein. Wichtig ist, was du denkst.«
    »Ich denke, dass ich nicht in deiner Haut stecken möchte.«
    Schon war Ben bei der Tür.
    Leon fand es absurd, dass sie immer noch im Dunkeln saßen. Er tastete nach dem Lichtschalter, kannte sich aber noch nicht gut genug aus, um ihn sofort zu finden.
    Bevor das Licht anging, war Ben schon wieder verschwunden.
    Jetzt konnte Leon nicht mehr einschlafen. Am liebsten wäre er abgehauen. Irgendwie war dieses kurze Gefühl, aufgehoben zu sein, zerbrochen.
    Leon weinte. Er kämpfte nicht länger dagegen an, ließ die Tränen laufen und schluchzte laut. Erst gegen vier Uhr schlief er ein.

17
    Als Leon aufwachte, tanzten Staubpartikel im Kegel des Sonnenlichts, das durch die Rollladenschlitze blitzte, über seiner Bettdecke. Der abgedunkelte Raum bekam dadurch etwas Gespenstisches. Leon war nassgeschwitzt und seine Haare verwuschelt. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund und ein Kratzen im Hals. Er sehnte sich nach einer Dusche und einer kräftigen Zahnpasta. Er hatte das Gefühl zu stinken.
    Es war kurz nach neun Uhr. Die Schule hatte längst begonnen. Heute wurde in Leons Leistungskurs ein Mathetest geschrieben. Bei dem Gedanken daran lächelte er milde. Mathe. Klare Regeln. Klare Lösungen für eindeutige Probleme.
    Die Schönheit einer Matheaufgabe wurde ihm bewusst.
    Kein Wenn und Aber, kein Hin und Her. Kein Kann sein oder auch nicht. Genau das fehlte ihm jetzt.
    Klare Antworten. Unwiderlegbare Beweise. So ein Mordfall war doch im Grunde wie eine Matheaufgabe. Es gab einen Täter X, und der musste gefunden werden. Nur der Rechenweg war unklar, aber es musste eine Lösung geben. Es gab immer eine Lösung. Er konnte nicht zulassen, dass ihm in einer Nacht Vater und Mutter genommen wurden.
    Am liebsten hätte er das Zimmer erst frisch geduscht verlassen, aber das ging nicht. Er musste, um zum Badezimmer zu kommen, die Treppe hoch, an Küche und Wohnzimmer vorbei und dann in die zweite Tür links.
    Er hörte jemanden mit Geschirr klappern. Er erwartete, Maik zu sehen, aber der war nicht da, sondern Ulla Fischer räumte in der Küche herum. Leon sah nur ihren Rücken.
    Er huschte ins Bad.
    Das heiße Wasser tat gut. Er reinigte sich intensiver als sonst. Er fühlte sich beschmutzt. Dieser ganze Mist klebte irgendwie an ihm. Er schwitzte ständig Angst und Schuldgefühle aus. Es war, als würde alles mit dem Schaum durch den Abfluss gespült werden, aber sobald sich der Dreck auf dem Weg in die Kanalisation befand, wuchs in Leon alles aufs Neue an. Am liebsten hätte er das

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