Nachtblauer Tod
er bei ihr ein leichtes Spiel haben würde. Sein Selbstvertrauen wuchs, als er sah, wie fertig sie war. Einen Moment überlegte er, ob er ihr nicht einfach die ganze Wahrheit erzählen sollte, aber das erschien ihm zu kompliziert. Menschen liebten ganz einfache Erklärungen und hörten nicht gerne lange zu.
Wichtig war nur der Anfang. Es musste ihm gelingen, sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Sie hatte das Gebäude allein verlassen. Er wusste nicht, ob sie es wirklich war. Sie sah nicht ganz so aus wie auf der Homepage der Firma. Er hoffte einfach nur, dass sie dort arbeitete und Michael Homburger kannte.
Eine dieser modernen Handtaschen mit riesigen Knöpfen und Schnallen baumelte an ihrer Schulter.
Er wollte ihr Vertrauen gewinnen, und er hatte nur ein paar Sekunden zur Verfügung. Der erste Anlauf musste gelingen. Er vermutete, dass sie ihm kaum eine zweite Chance geben würde.
Er zog einen Zwanzig-Euro-Schein aus seinem Portemonnaie und lief damit hinter ihr her.
»Hallo! Hallo!«
Sie ging weiter, als könne unmöglich sie gemeint sein.
Leon versuchte, sie zu überholen. Als er genau auf ihrer Höhe war, sah sie ihn an. Sie hatte rote, verheulte Augen und wirkte verletzt.
»Sie haben das hier verloren«, sagte er und hielt ihr den Schein hin.
Für einen Augenblick rechnete er damit, eine Ohrfeige zu bekommen. Sie taxierte ihn zornig. Dann wurde ihr Blick fragend.
Sie blieb stehen. »Sie rennen mir nach, weil ich zwanzig Euro verloren habe?«
Er nickte. »Aus der Tasche da.«
Sie nahm den Schein und betrachtete ihn nachdenklich.
»Na? Ist das Ihrer? Erkennen Sie ihn?«, scherzte er, und ein Anflug von einem Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Kann sein. Ich hatte jedenfalls mal einen ähnlichen.«
»Na dann.«
»Es gibt noch ehrliche Menschen!«
»Ja. Ich bin in dem Club.«
»Ich weiß jetzt gar nicht …«, sagte sie, »… wie ich mich erkenntlich zeigen kann.«
»Wir könnten einen Kaffee zusammen trinken.«
Sie machte einen Schritt rückwärts und verzog das Gesicht. »Das ist doch hier nicht so eine blöde Anmache oder was?«
Er hob abwehrend die Hände. »Ich habe eine feste Freundin. Bin sozusagen glücklich verliebt.«
Er sah es ihr an, fast wäre ihr ein Schade rausgerutscht. Fast.
Jedenfalls saßen sie zwanzig Minuten später im Café Roché und tranken schon den zweiten Kaffee und dazu Mineralwasser. Inzwischen duzten sie sich.
Sie aß ein Stück Erdbeertorte mit Sahne und beschloss, auf die schlanke Linie zu pfeifen.
Leon hatte bisher ein leichtes Spiel gehabt, wusste aber nicht, wie er den Namen Homburger ins Gespräch bringen sollte. Er hatte Angst, spätestens dann würde sie ihn durchschauen.
Sie erzählte von ihrem Freund, den sie immer noch liebte und für den sie aber angeblich nicht mehr war als ein Spielzeug. Dann begann sie auf ihre Chefs zu schimpfen, besonders auf den Juniorchef, den sie entweder das arrogante Arschloch oder den geilen Bock nannte. Er habe sie gefeuert, weil sie mal bei Facebook einer Freundin zum Geburtstag gratuliert hätte.
Sie benutzte Leon als eine Art emotionalen Abfalleimer, und er nickte und hörte zu. Dann fiel in ihren Wortkaskaden, die sie auf ihn niederprasseln ließ, ein Satz, der ihn geradezu elektrisierte.
»Andere nutzen ihre Stellung aus, klauen, spionieren Leute aus, und am Ende wird alles noch vertuscht!«
»Wie – warum zeigt dein Chef ihn nicht bei der Polizei an, wenn ein Mitarbeiter ihn beklaut?«
Sie lachte. »Er hat uns ja nicht beklaut, sondern unsere Kunden. Wir bauen Sicherheitsanlagen für Wohnhäuser und Büros. Wenn einer das Wissen ausnutzt, kommt der überall rein.«
»Und da hat dein Chef keine Anzeige erstattet?«
»Nein. Versteh ich auch. Würdest du einer Sicherheitsfirma vertrauen, deren Mitarbeiter deine Wohnung ausräumen? Der Kerl hat sogar noch eine Abfindung bekommen. Nix Polizei. Aber ich fliege raus.«
Leon atmete durch und rückte die Tasse vor sich zurecht. Er räusperte sich. »Du redest von Michael Homburger, stimmt’s?«
Sie zuckte zusammen und rückte von Leon weg.
»Du hast mich reingelegt! Es ging die ganze Zeit nur um ihn. Ich habe das Geld gar nicht verloren. Du wolltest mich nur aushorchen, und ich blöde Kuh erzähl dir mein Leben! Warum fall ich immer auf solche Blender rein? Warum glaub ich euch jeden Mist? Sieht man mir das an? Hab ich eine Leuchtschrift auf der Stirn: Strohdoof, leicht zu verarschen! ?«
Sie packte ihre potthässliche Handtasche und begann damit auf Leon
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