Nachtblauer Tod
einzudreschen.
Die Leute im Café starrten teils amüsiert, teils alarmiert in ihre Richtung.
Leon hielt sich schützend die Arme über den Kopf.
»Nicht doch! Ich meine es ehrlich!«, rief er.
»Du hast mich auch nur benutzt! Ihr Typen seid doch alle gleich!«, schrie sie und traf ihn durch die Deckung.
Er floh aus dem Café wie ein Taschendieb.
45
In den nächsten zwei Tagen benahm Leon sich geradezu auffällig unauffällig. Er ging zur Schule, besuchte die Diplom-Psychologin Marianne Müller-Felsenburg zu einem Gespräch und zeigte sich trauernd, aber vernünftig. Er gab Johanna Nachhilfe in Mathe, ohne sich von ihr provozieren zu lassen, und zog gemeinsam mit Maik die Schlinge enger um Jörg Parks Hals.
Sie fanden noch zwei Frauen, die bereits vor einiger Zeit Schluss mit ihm gemacht hatten, weil sie sich ausgenutzt fühlten. Die eine, die den schönen Namen Monika Himmelspforte hatte, beschimpfte ihn, sie »abgezockt und gelinkt« zu haben. Sie bekam angeblich noch dreitausend Euro von ihm, die sie ihm geliehen hatte, außerdem forderte sie die Hälfte von dem Geld zurück, das sie für den gemeinsamen Urlaub auf Norderney gezahlt hatte.
In Jörg Parks Fotodatei entdeckten sie Bilder von allen Frauen. Harmlose Fotos, mit einem Handy gemacht.
Jörg Parks schießt auf dem Jahrmarkt eine Rose für Hasi.
Mausi isst eine Riesenportion Erdbeereis.
Himmelspforte macht mit Jörg eine Wattwanderung.
Maik fand die Fotos stümperhaft. Ein Zeichen, dass Jörg Parks keinen Geschmack habe und keinen ästhetischen Blick. Die Bilder seien seelenlos. »Nicht jeder, der sich eine Kamera kauft, wird dadurch zum Fotografen.«
Die Frauen waren zwischen fünfunddreißig und fünfzig. Es gab pralle Wonneproppen und Hungerhaken. Blonde und Schwarzhaarige. Er schien kein anderes Auswahlkriterium zu haben als die Frage, ob bei den Frauen Geld zu holen war.
Gemeinsam mit Maik sorgte Leon dafür, dass jede Frau von allen anderen erfuhr.
Sie konnten auch auf Jörg Parks aktuellen E-Mail-Verkehr zugreifen. Er beschwerte sich bei einem Freund, man habe eine Speichelprobe von ihm genommen. Er würde allen Ernstes verdächtigt, Kirsten Schwarz umgebracht zu haben, außerdem weigere sich die Lebensversicherung, den ihm zustehenden Betrag auszuzahlen, solange nicht alle Todesumstände geklärt seien. Wer jemanden umgebracht hätte, dürfe von dessen Tod nicht profitieren. Die verdächtigen auch mich, beschwerte er sich.
Leon half Maik sogar beim Kochen. Er hackte Zwiebeln, putzte Gemüse und filetierte Schollen, Steinbeißer und Lachs. Es gab eine Fischpfanne mit Krabben. Beim Krabbenpulen stellte Leon sich ungeschickt an, aber es verstieß für Maik geradezu gegen die Ehre eines Kochs, bereits gepulte Krabben zu kaufen. Die, so behauptete er, seien nicht mehr frisch. Er regte sich darüber auf, dass die Krabben vor der Haustür in der Nordsee gefangen würden, dann aber nach Marokko oder Polen transportiert werden müssten, damit man ihnen dort aus dem Mantel helfe.
»In Deutschland ist das angeblich zu teuer.« Er klopfte sich gegen die Stirn.
Leon empfahl ihm, doch besser eine Krabbenpulmaschine zu erfinden als neue Sicherheits- und Überwachungsanlagen.
Sogar mit Ulla Fischer entspannte sich die Situation, weil Leon sich ja inzwischen an Regeln hielt und »sein Zimmer« sogar besser aufräumte als Ben und Johanna. Bens Zimmer nannte Ulla nur noch »sein Loch« oder »Bens Mülldeponie«.
Mit seiner angepassten Art brachte Leon seinen Freund Ben gegen sich auf. »Du machst hier voll den Streber und Schleimer, weißt du das? Du gehst mir inzwischen echt auf den Keks!«, maulte Ben.
Ja, tagsüber war Leon ein braver Junge. Half im Haushalt und machte sogar seine Hausaufgaben, aber nachts änderte sich das. Wenn alle schliefen und Maik zur Arbeit war, dann schob er Kissen unter seine Bettdecke und rollte sie so, dass ein flüchtiger Blick auf das Sofa jedem Gast suggerierte: Du störst hier, da schläft jemand, und zwar fest!
Dann überprüfte er das Ortungsgerät, und in der Tat, Maik hatte keinen Schrott erzählt. Ein roter Punkt auf dem GPS zeigte, wo sich der Sicherheitschip, den Leon an Maiks Jeansgürtel angebracht hatte, befand.
Der Stadtplan von Bremerhaven leuchtete matt auf dem Display. Na bitte, er war in Lehe, in der Hilda-Heinemann-Straße.
Leon löschte das Licht in seinem Zimmer und kletterte aus dem Fenster. Diesmal rief niemand die Polizei. In der Hilda-Heinemann-Straße suchte er Maik zunächst
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