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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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hingehen«, schlug Del vor. »Sie uns ansehen.«
    Die beiden gingen durch den kalten Morgen, stießen Atemwölkchen in die Luft. Die Straßen waren voller Menschen, die mit meist fröhlichen Gesichtern zur Arbeit gingen. Nicht mehr lange bis zum Erntedankfest, dachte Lucas, und dann kommt Weihnachten.
    »Bald haben wir Weihnachten«, griff Del diesen Gedanken auf.
    Im Krankenhaus konnten ihnen die Schwestern kaum etwas zu Marcys Zustand sagen, da sie selbst kaum etwas wussten.
    »Lass uns mal nachsehen, ob Weather bei ihr ist«, schlug Lucas vor.
    »Oh …« Del sah Lucas überrascht an. Weather hatte Lucas nach der Trennung nicht mehr sehen wollen, hatte es abgelehnt, ihn zu treffen – jetzt schon seit etwa einem Jahr. Hatte sich da etwas geändert?
    »Ja. Komm mit.«
    Weather war im Damenumkleideraum. Eine Schwester sagte ihr Bescheid, und sie kam im Arztkittel heraus. »Hallo, Del«, grüßte sie. »Sie sehen be… ehm, ein wenig übermüdet aus.«
    »Besten Dank«, reagierte Del trocken.
    Lucas fragte: »Hast du mal mit deinen Arztkollegen über Marcy gesprochen? Von den Stationsschwestern erfährt man nichts Neues.«
    »Ihr Blutdruck ist ein wenig zu schwach«, sagte Weather. »Könnte am Schockzustand liegen, aber Hirschfeld befürchtet, es könnte auch ein arterielles Leck entstanden sein. Sie halten sie unter ständiger Beobachtung.«
    Lucas geriet fast in Panik. »Ein Leck? Was bedeutet das – ›es könnte ein arterielles Leck entstanden sein‹?«
    Weather legte die Hand auf seinen Arm. »Lucas, so was kann passieren. Das Geschoss hat so große Schäden verursacht, dass es ein Wunder wäre, wenn man bei der Operation alles perfekt zusammengeflickt hätte. Wenn es überhaupt eine undichte Stelle ist, dann ist sie nur klein. Also keine Panik.«
    »O Gott, Weather …«
    Weather wandte sich an Del: »Sie müssen unseren Jungen hier gut im Auge behalten. Er stößt auf etwas, an dem er nichts ändern kann, und schon verfällt er in die gefürchtete Lucas’sche Panikreaktion.«
    Lucas war immer noch erschüttert, als sie gingen, und Del war neugieriger als je zuvor. »Du hast vorher schon mal mit Weather gesprochen?«
    »Ich habe sie gestern Abend zufällig getroffen. Und tatsächlich seit … undenklichen Zeiten wieder mit ihr gesprochen.«
    »Es scheint eine Veränderung mit ihr vorgegangen zu sein«, vermutete Del. Der unausgesprochene Teil der Vermutung lautete: Als ob sie dich nicht mehr hassen würde.
    »Die Zeit heilt Wunden«, sagte Lucas nachdenklich.
     
     
    Auf dem Weg zum Gefängnis in Stillwater besprachen sie das taktische Vorgehen mit Trick.
    »Also«, sagte Trick, »entsprechend Ihrem brillanten Plan bleibe ich irgendwo draußen auf meinem Arsch sitzen, bis Sie mir sagen, ich soll reinkommen. Und dann mache ich das.«
    »Ja, aber wenn Sie reinkommen, dann tun Sie das mit einem Gesicht wie die verdammt strahlende Sonne«, ergänzte Del.
    »Strahlen wie die verdammte Sonne für Al-Balah«, knurrte Trick angeekelt. »Wenn der Mistkerl heute Mittag sterben würde, sollten wir zur Kathedrale fahren und zum Dank ein Bündel Kerzen anzünden.«
    »Sind Sie katholisch?«, fragte Lucas.
    »Scheiße, nein«, antwortete Bentoin. »Beschissene rosenkranzschwingende, knierutschende, ringküssende Arschlöcher…«
    »Lucas und ich sind katholisch«, outete Del sich für die gesamte Eskorte. »Wir dachten, da Sie einen französischen Namen haben …«
    »Falsch gedacht«, fiel ihm Bentoin ins Wort.
    »Okay, was sind Sie denn dann, religiös gesehen?«
    Bentoin schaute aus dem Wagenfenster auf ein abgeerntetes Maisfeld und sagte mürrisch: »Ein Ex-Katholik.«
    Lucas musste lachen und Del auch – zum ersten Mal seit dem Anschlag auf Marcy.
     
     
    Die Wände des Besuchszimmers waren in einer undefinierbaren Pastellfarbe gestrichen, als ob der Anstreicher zwar eine ganze Reihe verschiedener Pastellfarben zur Verfügung gehabt hätte, aber nicht genug von einer allein und deshalb alle zusammengerührt hätte; das Ergebnis war ein Zitronen-Creme-Rosa-Baby-Blau, das dann im Lauf der Zeit zu einem schmierigen Pastell verblasst war. Al-Balahs Anwalt, ein recht guter Dreiband-Billardspieler namens Laziard, saß auf einer Bank, hatte seine Aktentasche neben dem linken Fuß deponiert und las in einer Broschüre über verbotene Mitbringsel für Insassen. Er schaute auf, als Lucas und Del hereinkamen.
    »Donnerwetter, ein Deputy Chief höchstpersönlich«, sagte er. »Sie scheinen ein schlechtes Gewissen zu haben

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