Nachtblind
allem in der Nähe der Fußböden infolge von Wasserschäden aus. Im Wohnzimmer lagen mehrere abgetretene Teppiche in einst hellen, jetzt von Schmutz gedämpften Farben vor einem großen Fernseher. Es roch nach Tacos, Hamburgern und Zwiebeln. Die meisten Cops hatten sich im Esszimmer versammelt. Lucas ging hin; ein großer schwarzer Mann mit verwirrtem Gesichtsausdruck, gekleidet in olivgrüne Unterwäsche, lag auf einer ausgezogenen Schlafcouch. Seine Handgelenke steckten in Handschellen. Del kauerte in Hockstellung vor ihm und sprach auf ihn ein.
»Wo ist Mary Lou?«, fragte Lucas.
»Sie hat kurz vor dem Einsatz das Haus verlassen«, sagte Lapstrake. »Wir sahen sie in einen Bus Richtung Stadtzentrum steigen und ließen sie unbehelligt davonfahren.«
»Obergeschoss«, sagte der Cop in der schusssicheren Weste ein wenig ungeduldig.
In einem der Schlafzimmer im Obergeschoss lag, ordentlich auf einer Plastikplane in der Mitte des Raumes aufgeschichtet, ein großer Stapel Marihuanapäckchen.
»Okay«, sagte Lucas. »Das lässt sich sehen …«
Er nahm eines der Päckchen in die Hand, roch daran, legte es zurück. Das Fenster im Zimmer stand offen, und die dünnen Vorhänge flatterten in einem leichten Windhauch. Unten spielte ein kleiner Junge in einem Sandkasten. Zehn Meter daneben stand ein kleines Mädchen, einige Jahre älter als der Junge, und schaute diagonal durch den Garten hinüber zur Straße, wahrscheinlich auf die Cops vor dem Haus. Die Arme und Beine des Mädchens waren angespannt vor Erregung, vielleicht aber auch vor Angst oder Entrüstung. Lucas war erstaunt über die Ähnlichkeit dieses Blicks aus dem Fenster und der Kameraeinstellung in einem Film über den Zweiten Weltkrieg, den er sich vor einer Woche im Fernsehen angeschaut hatte. Nur – in dem Film hatte es sich bei den Männern in den schwarzen Uniformen mit Helmen auf den Köpfen und Gewehren in den Händen nicht um Polizisten im Einsatz gehandelt, sondern um Nazisoldaten, die Menschen aus ihren Häusern trieben.
Nur ein Film …
Er wandte sich wieder an Lapstrake: »Ich werde den TV-Leuten sagen, sie sollen sich noch ein wenig gedulden. Wenn hier alles festgehalten und dokumentiert ist, lassen Sie sie rein, lassen Sie sie Aufnahmen machen, wie Ihre Leute den Stoff abtransportieren. Vor allem auch das Heroin.«
»Das ist nicht mein Bier«, sagte Lapstrake.
»Okay, holen Sie einen unserer Medienleute ran. Vielleicht Jones von der Drogenfahndung, der ist gut bei so einem Scheißdreck.«
Im Erdgeschoss kam Del zu ihm und sagte: »Ich verschwinde jetzt – das Einsatzkommando nimmt mich mit. Wir haben ungefähr eineinhalb Kilo Kokain und eine Flasche Heroin sichergestellt, dazu diesen Stapel Marihuana. Kein Crack.«
»Wie ist Shaws Stellung auf dem Drogenmarkt einzuschätzen?«
»George ist doch jetzt aus dem Verkehr gezogen«, sagte Del.
»Ich meine das anders – besteht irgendeine Möglichkeit, dass irgendwas von diesem Scheißzeug bei Alie’e gelandet ist?«
»Sein Platz war eigentlich nicht so hoch oben in der Handelskette«, sagte Del. »Aber wer weiß? Ich knöpfe ihn mir im Präsidium vor.«
Del und Lapstrake hielten sich außer Sicht, als einige Männer des Einsatzkommandos George Shaw zu einem Streifenwagen führten und hineinschoben, und während die Kameras auf den mit hängendem Kopf dahintrottenden und inzwischen in eine dunkle Hose und Tennisschuhe gekleideten Shaw gerichtet waren, verkrümelte sich Del durch die Hintertür. Lucas folgte der Shaw-Parade. Der Streifenwagen hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als ein Fernsehreporter auch schon seinen Namen rief, und Lucas ging auf die Meute zu. Die Kameraleute der drei Reporter – ein Mann und zwei junge Frauen – machten sofort einen Schwenk von dem abfahrenden Wagen auf Lucas.
»Chief Davenport, wir nehmen an, dass diese Aktion hier in einer direkten Verbindung zum Mord an Alie’e Maison steht«, sagte der Mann. »Trifft das zu?«
Lucas schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht befugt, einen Kommentar zu einer laufenden Untersuchung abzugeben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir hier eine große Menge Drogen sichergestellt haben.«
»Was für Drogen?«
»Sowohl Kokain als auch Heroin, darüber hinaus eine erhebliche Menge Marihuana«, sagte Lucas und sah in die Kameralinsen. »Das Marihuana sieht aus wie ein Stapel Backsteine.«
»Wir gehen doch wohl richtig in der Annahme, dass Kokain und Heroin beim Tod von Alie’e Maison eine Rolle gespielt
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