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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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haben, oder?«
    »Ich habe auch so was gehört, aber meine Quelle war wahrscheinlich nicht besser als Ihre«, sagte Lucas sanft.
    »Aber Sie waren doch am Tatort heute am frühen Morgen?«
    »Ja, das war ich.« Er gab sich zögerlich.
    »Und jetzt sind Sie hier und stellen Ermittlungen in einer Drogensache an, bei der es um genau die gleichen Drogen geht wie im Mordfall Maison, und …«
    »Hören Sie«, unterbrach Lucas den Mann, »ich möchte nicht über die Ermittlungen im Mordfall Maison sprechen. Chief Roux hat persönlich die Leitung übernommen, und nur sie ist befugt, den Medien gegenüber Aussagen dazu zu machen.«
    »Wir haben aber gehört, dass Sie als Koordinator …«
    »Ich mache keine Aussagen zu dem Fall … Tut mir Leid. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte.« Lucas drängte sich durch die Ansammlung und ging auf seinen Wagen zu. Das »Tatortinterview« war beendet, und die Kameras wurden ausgeschaltet, aber die Reporter liefen hinter ihm her.
    »Es steckt doch aber mehr dahinter, Lucas«, sagte eine der Reporterinnen. Sie war eine selbstbewusste junge Frau mit kurzem dunklem Haar und einem schmalen, hübschen Gesicht.
    »Ich würde Ihnen ja gerne mehr sagen, aber ich darf es nicht«, bedauerte Lucas. »Ich darf es einfach nicht … Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag – bleiben Sie noch eine Weile hier, Lieutenant Jim Jones von der Drogenfahndung kommt gleich, und ich werde ihm sagen, er soll Sie ins Haus und Aufnahmen machen lassen. Marihuana ist ja an sich keine große Sache, aber wenn es einen Berg davon gibt, ist es durchaus interessant; und es liegt ein Berg davon in diesem Haus. Und ich werde dafür sorgen, dass man Ihnen auch das Kokain und das Heroin zeigt.«
    »Alie’e nahm Heroin, jedenfalls hat sie es in New York getan«, sagte die andere Reporterin. Sie war honigblond und hatte eine so hübsche Nase, dass diese nur als Produkt gekonnter plastischer Chirurgie gedeutet werden konnte.
    »Hören Sie«, sagte Lucas und senkte die Stimme. »Was ich jetzt sage, muss absolut als inoffiziell behandelt werden, okay? Ich meine das ernst …«
    Die Reporter sahen sich an, nickten unisono. »Alie’e hatte sich zum Zeitpunkt ihrer Ermordung einen, wie man es wohl nennt, Mini-Schuss Heroin gesetzt. Ich weiß nicht, was man Ihnen offiziell im Polizeipräsidium erzählen wird, aber was ich Ihnen da inoffiziell sage, ist die Wahrheit. Wenn Sie ein bisschen Druck machen, wird man es Ihnen offiziell bestätigen.« Er sah hinüber zum Shaw-Haus – bedeutungsvoll, wie er hoffte. »Aber das ist nun wirklich alles, was ich Ihnen sagen kann.«
    »Einen Moment noch, einen Moment noch, bitte«, sagte die Blonde. »Sie sagten Mini-Schuss – habe ich das richtig verstanden?«
    »Ja, so nennt man das offenbar.«
    »Sehr gut«, jubelte die Frau. »Das klingt echt super … Noch eine Frage, bei der die Antwort keinem schaden kann: Als Sie Alie’e heute Morgen sahen … trug sie da ein grünes Kleid?«
    »Ein grünes Kleid?«
    »Ja, ein grünes Kleid, eng am Hals, Tropfenausschnitt so
wie …«
    »Auch das muss als inoffiziell betrachtet werden.« Aber sie hatte ja Recht – das konnte nun wirklich keinem schaden. »Sicher. Natürlich. Wir wollen es nur wissen .«
    »Ja, es war ein grünes Kleid. Fast durchsichtig.«
    »Wunderbar!«, jubelte die Blonde. Die Kameraleute waren zu ihnen getreten, um mitzuhören, was da gesagt wurde; die Kameras hielten sie demonstrativ abgewendet – man war beim inoffiziellen Teil, und man beachtete die Regeln. Die Blonde hielt ihrem Kameramann die erhobene Hand entgegen, die Handfläche ihm zugewandt, kreischte: »Das Kleid war grün!«
    Der Kameramann klatschte seine Handfläche gegen die ihre, und Lucas fragte verblüfft: »Was ist los?« Die anderen Reporter und Kameraleute sahen genauso verständnislos drein wie er.
    »Das Todeskleid«, sagte die Reporterin. »Wir haben gestern Alie’e in diesem Kleid gefilmt. Es ist ein Modell von Gurleon. Ein Fünfundzwanzigtausend-Dollar- Totenhemd , und wir haben Alie’e in ihm gefilmt! Wir haben es auf Band! Wir sind doch verdammt gut , oder?«

7
     
     
     
    »… und wurde zu einem wunderschönen rauchgrünen Fünfundzwanzigtausend-Dollar-Totenhemd für die geheimnisumwitterte Frau mit den jadegrünen Augen … Nun zurück zu Ihnen, Henry.«
    Der Mann hatte in der Nacht keinen Schlaf gefunden; er ging in seinem Büro auf und ab, hielt den Blick auf das Fernsehgerät gerichtet. Die blonde Reporterin auf dem Bildschirm lächelte ihn an.

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