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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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Jeans oder Kordhosen; reinstes ländliches Minnesota …
    »Sie hätte bald Filme gemacht«, sagte Alie’es Mutter mit zitternder Stimme. »Ein Projekt stand kurz vor der Realisierung.
    Sie sollte eine der Hauptrollen spielen. Der große Schritt stand bevor, und nun …«
    Rose Marie konnte gut mit Eltern umgehen: stets geduldig und mitfühlend. Sie stellte Lucas und Lester vor und umriss, wie man den Fall angehen wollte.
    Lucas empfand einen seltsamen Missklang an dieser Stelle: Alie’es Eltern, beide etwa Ende vierzig, sahen in ihrer schwarzen Eleganz, die sich so attraktiv vom blonden Haar und dem hellen Teint abhob, nach typischen New Yorkern aus. Die Wörter, die sie benutzten, klangen nach New York, und auch ihre Haltung gegenüber Alie’e war typisch für New York: rein geschäftsmäßig . Nicht nur ihre Tochter war tot, auch ihre »Firma Alie’e«.
    Aber die Aussprache war eindeutig kleinstädtisches Minnesota: runde, lang gezogene skandinavische Vokale. Und alle paar Sätze entschlüpften ihnen Satzkonstruktionen, die typisch für Minnesota waren.
    Rose Marie nahm kein Blatt vor den Mund. Sie erwähnte die besondere Beziehung Alie’es zu Jael – Lil murmelte »aber das war doch nur so was wie ein alberner Spaß unter Freundinnen …« – und sprach die Möglichkeit des Drogenkonsums an. Die Olsons wichen Rose Maries Blick aus, und Lil begann leise zu wimmern. Als die Polizeichefin gerade ihren Satz beendet hatte, wurde die Tür aufgestoßen und ein großer, kräftiger Mann kam herein, sah sich um.
    Er trug Jeans, schwarze Stiefel und eine dicke Carhartt-Jacke mit Ölflecken an den Ärmeln. Sein Haarschnitt sah aus wie der eines Farmers – struppig auf dem Schädel, kurz über den Ohren. Lynn Olson sprang auf und rief »Tom!«; Lils Kopf fuhr hoch, und sie hörte auf zu wimmern. Der große Mann sah die beiden finster an, nickte den Leuten aus Burnt River zu, richtete den Blick dann auf Lucas, Lester und zum Schluss auf Rose Marie. »Ich bin Tom Olson«, sagte er. »Alie’es Bruder.«
    »Wir erklären Ihren Eltern gerade, was wir zu tun beabsichtigen«, sagte Rose Marie.
    »Wissen Sie wirklich , was Sie tun wollen?«
    »Wir gehen an diesen Fall mit …«
    »Sie haben es mit einem ganzen Nest von Klapperschlangen zu tun«, fiel Tom Olson ihr ins Wort. »Am einfachsten wäre es, wenn Sie den ganzen Abschaum in einen Sack stecken und mit einem Knüppel draufschlagen würden. Sie sind Sünder, alle miteinander. Sie nehmen Drogen, treiben wüsten Sex, begehen Diebstahl – und jetzt auch noch Mord. Sie sind alles Kriminelle.«
    »Tom«, flehte Lil, »bitte, Tom …«
    »Wir knöpfen uns jeden vor, der gestern mit Alie’e zusammen war«, sagte Rose Marie. »Wir sind sehr zuversichtlich …«
    Tom Olson schüttelte den Kopf, richtete den Blick auf seine Eltern. »So ist das also. Nach fünfundzwanzig Jahren des Missbrauchs ist es also so weit mit ihr gekommen … Ermordet in Minneapolis. Voll gestopft mit Drogen, Heroin, wie ich im Radio höre – ein Mini-Schuss, sagen sie im Radio, was auch immer das ist. Irgendetwas Böses, für das sie sich einen speziellen Namen ausgedacht haben, hmmm? In Burnt River haben wir nie von so was gehört.«
    Lester warf Lucas einen fragenden Blick zu. Lynn Olson stand auf und sagte: »Tom, beruhige dich, okay?«
    Tom richtete sich seinem Vater gegenüber zur vollen Größe auf. »Ich werde das nicht ruhig hinnehmen«, knurrte er. »Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als wir Sharon zu ihr sagten …«
    »Wir müssen mit Ihnen sprechen«, sagte Lester zu ihm.
    »Sie wollen mich verhören? Sehr schön … Aber ich weiß kaum etwas darüber, was für ein Leben sie geführt hat. Einmal im Monat hat sie mir geschrieben, das war alles.«
    »Dennoch – wir möchten mit Ihnen sprechen.«
    Tom Olson ignorierte Lester, wandte sich wieder an seine Eltern, streckte ihnen anklagend einen zitternden Zeigefinger entgegen. »Wie oft habe ich es euch gesagt? Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr den Weg des Satans, den Weg des Todes eingeschlagen habt? Ihr zieht euch ja sogar wie Satan an. Schaut euch doch an, ihr gebt mehr Geld für ein einziges Hemd aus als ein normaler Mensch für seine ganze Garderobe. Es ist eine böse Krankheit, und sie hat sich in eure Seelen gefressen …«
    Er schäumte vor Zorn, und jetzt zitterte nicht mehr nur sein Finger, sondern sein ganzer Körper. Lucas stieß sich von der Wand ab, und Lynn Olson bettelte hilflos: »Tom, Tommy, Tommy …«
    »…

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