Nachtblind
Menschen, die in diesem Albtraum leben, Menschen, die andere zum Leben in diesem Albtraum ermutigen, Menschen, die willentlich die Geschäfte Satans betreiben …«
Er schleuderte die Worte Rose Marie entgegen, die ihn mit offenem Mund anstarrte, und für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich über den Schreibtisch hinweg auf sie stürzen. Lucas trat schnell vor, dicht hinter Rose Marie, sagte: »Wow, wow, beruhigen Sie sich, Mann, ganz ruhig bleiben …«
Olson sagte nichts mehr, aber sein Körper bebte weiterhin; schließlich drehte er sich um und wankte zur Tür, lehnte sich an den Rahmen. Tränen liefen über seine Wangen, und in die Stille hinein fragte er: »Kann ich meine Schwester noch einmal sehen?«
Del arbeitete daran, unter den Dealern und Junkies diejenigen herauszufiltern, die als Quelle für Drogenlieferungen an die Partygäste in Silly Hansons Haus am gestrigen Abend in Frage kamen. Lane, der zweite Mann in Lucas’ Spezialteam, arbeitete an Alie’es Verwandtschaftsverhältnissen.
»Ich brauche eine Aufstellung von allen nahen und fernen Familienangehörigen«, sagte Lucas zu ihm. »Und ich brauche eine Übersicht, aus der hervorgeht, wie sie miteinander verwandt sind. Und alle Ex-Ehemänner …«
»Gibt’s keine …«
»… alle ihre Ex-Verlobten, Ex-Freunde, alle, die mal näher mit ihr bekannt waren. Das Gleiche bei der anderen Frau …«
»Lansing.«
»Ja. Eine komplette Übersicht.«
»Hör mal, Lucas, wenn wir doch aber die Leute, die gestern auf der Party waren, genauer unter die Lupe nehmen und uns vorknöpfen …«
Lucas schüttelte den Kopf. »Die Jungs von der Mordkommission haben die Liste zur Hälfte abgearbeitet. Ich kriege das Endergebnis heute Abend oder morgen, wenn sie den Killer nicht bis dahin festgenagelt haben.«
»Oder wenn wir dieser Fassadenkletterer-Theorie intensiver nachgehen … Ich habe da noch ein paar Verbindungen in der Szene von meiner Zeit als Straßencop.«
»Lane, halt dich an die Verwandtschaft, okay? Das Morddezernat und das Dezernat Eigentumsdelikte kümmern sich um einen möglichen Fassadenkletterer. Wir müssen die Dinge untersuchen, um die sich die anderen im Moment nicht kümmern können. Denn wenn der Mord an Alie’e nichts mit Zufall zu tun hat, wenn es kein Einbrecher war, dann hat es jemand getan, der sie gut genug kannte, um ein Motiv zu haben, und das müsste dann jemand sein, der ihr einigermaßen nahe stand.«
»Aber …«
Lucas hielt ihm drohend den Zeigefinger entgegen. »Du bleibst bei der verdammten Verwandtschaft, klar?«
Er verbrachte eine Stunde beim Morddezernat, hörte sich an, was zurückkommende Detectives über ihre Ermittlungen zu berichten hatten, filterte heraus, was verheißungsvoll klang. Aber es klang nicht viel verheißungsvoll. Lester kam von der Anhörung Tom Olsons zurück. »Er sagt – wörtlich –, die Eltern hätten Alie’e wie einen Hund dressiert. Wie einen Zirkushund. Haben sie im ganzen Land rumgeschleppt – zu Talentwettbewerben für Jugendliche, Schönheitskonkurrenzen, Modelauftritten.«
»Auch anderen Missbrauch …?«
»Tom meinte damit nicht sexuellen Missbrauch, das hätte sich ja vielleicht negativ auf das Ziel der Dressur ausgewirkt«, sagte Lester. »Und er glaubt nicht, dass seine Eltern irgendwas mit dem Mord an Alie’e zu tun haben könnten. Alie’e war ja die Milchkuh, von der sie gelebt haben. Sie haben dem Kind die Jugend genommen, sagt Tom, und sie haben Alie’e bis zum heutigen Tag kein eigenständiges Leben führen lassen.«
»Hat sich Alie’e dagegen gewehrt?«, fragte Lucas.
Lester schüttelte den Kopf. »Tom sagt nein. Er meint, sie hätte ja nichts anderes gekannt.«
»Hmmm. Er kam mir irgendwie beknackt vor.«
»Er ist so was wie ein Geistlicher«, erklärte Lester. »Und er sagt, im Grunde liebe er seine Eltern, aber er möge sie einfach nicht besonders.«
Dann rief Del an und sagte: »Pass auf, dass dein Hosenstall zu ist …«
»Was ist los?«
»Boo McDonald hat mich angerufen. Ich bin jetzt bei ihm.« McDonald war ein querschnittsgelähmter junger Mann, der für ein halbes Dutzend Fernseh- und Radiostationen das Internet nach interessanten Polizeistorys abklopfte und manchmal auch den Cops Hinweise zukommen ließ. »Er hat seine Internet-Suchmaschine mal mit ›Alie’e‹ gefüttert und ist auf eine Seite gestoßen, die hier in den Citys eingerichtet worden ist. Die Überschrift lautet: Fotzenlecker-Party endet tödlich. Und nun
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